part 1
*
Es war eine wunderschöne und sternenklare Nacht – fast so, wie man sie aus unzähligen Werbeanzeigen her kannte. Die Luft war angenehm warm und es roch nach den süßen und wahrscheinlich zum Großteil auch schon überreifen Früchten einiger Obstbäume, die irgendjemand vor unzähligen Jahren hier angepflanzt hatte.
Der Klang von hohen Absätzen auf dem Mosaiksteinboden durchschnitt die Stille, gepaart mit leisem Stimmengewirr. Zwei recht junge, attraktive Damen schienen die späte Stunde wohl noch zu nutzen... Und sie schienen dies regelmäßig zu tun, denn Müdigkeit war ihnen überhaupt nicht anzusehen.
»Oh je, Augen links. Und ab durch die Mitte.«
Die Blonde wies mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung zweier Herren in Uniform, offenbar eine der vielen Milizstreifen hier auf Anhur. Dummerweise schwenkten die beiden Herren auch schon direkt in die Richtung des weiblichen Duos, man schien sich wohl irgendwie zu kennen.
»Die ID-Card!«
Die Blonde zog einen Schmollmund, holte aber auch umgehend ihre Card aus der Manteltasche hervor. Ihre Freundin tat es ihr gleich, nur zeigte sich auf ihren Lippen ein Lächeln, das leicht spöttisch wirkte. Der Milizionär zog die Stirn ein wenig in Falten, dann räusperte er sich und bemühte sich um einen freundlichen Tonfall. »Na schön. Das ist jetzt das zweite Mal in dieser Woche und die hat eigentlich erst angefangen. Ich sagte doch klar und deutlich, dass ich euch hier nicht mehr sehen will – macht das im Geschäftsviertel, aber nicht hier.«
»Ja, klar doch. Kommt nicht wieder vor.«
Diese Worte aus dem Mund der Blonden hatten einen eigenartigen Klang, es klang nicht nach einem ernsthaften Versprechen, eher wie eine nette zynische Randbemerkung. Alternativ hätte sie auch ein fröhliches du kannst mich mal vom Stapel lassen können, es hätte wohl ganz ähnlich auf den Zuhörer gewirkt.
Der Uniformierte war sichtlich bemüht, nicht die Fassung zu verlieren, er überhörte die nette Phrase ganz einfach.
»Letzte Warnung!«
Er gab die ID-Cards an ihre Besitzer zurück und macht dann auf dem Absatz kehrt. Streit wollte er nicht haben, vielmehr hoffte er wohl innerlich, dass die Zeit bis zum Dienstschluss möglichst schnell vergehen würde.
Glück gehabt, man hörte die beiden weiblichen Nachtschwärmer deutlich aufatmen.
»Jenna... Ich weiß nicht, ob ich dir das schon einmal so gesagt habe, aber ich mag nicht ständig von diesen Leuten da auf die Füße getreten werden. Also frage ich dich mal ganz nett und freundlich was dagegen spricht, den Worten der Herren mit den Dienstmarken einfach mal Folge zu leisten.«
Jenna warf einen ärgerlichen Blick auf ihre Freundin.
»Geld? Credits? Schon vergessen? Hier ist das große Geld zu machen. Im Geschäftsviertel allerdings nicht.«
Ah ja... Credits. In den vergangenen fünf Monaten seit ihrer Ankunft hier auf Anhur hatte sich fast alles nur um dieses eine Thema gedreht.
Dabei gab es einiges anderes, was von Bedeutung war. Anhur war zum Dreh- und Angelpunkt für einige wichtige Ereignisse im Tri-System geworden, angefangen von einer größeren Schlacht im Orbit des Planeten über die spektakuläre Festnahme eines Senators namens Ser Angus Santana bis hin zu kompletten Neuwahlen.
Jemand hatte das ganze System quasi auf den Kopf gestellt – aber Jenna und ihre Freundin Monica erlebten all diese Veränderung nur am Rande mit. Es war nicht wirklich wichtig für die beiden – ihre nächtlichen Streifzüge quer durch das Regierungsviertel aber schon. Obwohl sie sich ursprünglich einmal vorgenommen hatten, ihre eher unrühmliche Karriere als „Bordsteinschwalben“ an den sprichwörtlichen Nagel zu hängen, verfielen sie viel zu schnell wieder in alte Gepflogenheiten. Das hier war leichtes und schnelles Geld, zudem waren die Kunden hier auf Anhur regelrecht gepflegt und besaßen zum Großteil sogar Manieren. Auf Hermes, ihrem alten Aufenthaltsort, war davon fast nichts zu sehen oder gar zu spüren gewesen.
Klar – es gab Ausnahmen, einer verdankten sie auch ihr Ticket hierher, aber diese Ausnahmen bestätigten halt nur die Regel.
Um weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen und vermutlich um keine Nörgeleien von Monica hören zu müssen, gab Jenna für den Augenblick schließlich nach. Das Geschäftsviertel von Anhur war riesig, es gab etliche gute und sehr teure Bars und unzählige Büros für nahezu jede Art von Dienstleistung. Aber leider so gut wie keine Herrschaften aus der Politik. Und genau letztere waren eigentlich das bevorzugte Ziel von Jenna. Diese Leute sahen nicht aufs Geld, sie zahlten einfach und still was man von ihnen verlangte und verschwanden auch immer sehr schnell wieder vom Nachtlager.
Jenna verlangsamte ihren Schritt, sie sah sich dabei nach möglicher Kundschaft um. Männer gab es hier zur Genüge, aber selbst sie war inzwischen wählerisch geworden. Anhur bot viele Möglichkeiten und der Großteil der Bevölkerung hatte viel Geld...
Jenna war nicht mehr gezwungen jede Nacht auf Tour zu gehen – dass sie es trotzdem tat lag wohl daran, dass sie tatsächlich mit dem Gedanken spielte, irgendwann einmal komplett aufzuhören. Sie sparte mittlerweile den Großteil ihres Lohnes und hoffte auf diese Weise für sich und ihre Zukunft etwas zu tun. Monica hingegen war anders – einfach nur Leben. Morgen kann man schon tot sein, dann nützt einem alles Geld der Welt nichts mehr.
Ein junger Privateer schien Jennas Aufmerksamkeit zu erregen, er wirkte seltsam gepflegt und hatte kurze, streng nach hinten gekämmte Haare, die mit etwas Gel fixiert waren. Auch seine Bekleidung zeugte von Geschmack, sie wirkte sauber, war von schwarzer Farbe und schien nicht bereits seit Tagen am Körper getragen zu werden. Der Söldner schien sie wohl bemerkt zu haben, jedenfalls kam er direkt auf das Pärchen zu. Jenna baute sich regelrecht vor ihm auf, ihren Mantel ließ sie mit Absicht ein kleines Stück weit offen, so erlaubte sie recht tiefe Einblicke auf das nur spärlich bekleidete Darunter. »Noch einsam?« Ein wahres Unschuldslächeln begleitete diesen kurzen Satz. Und beides zusammen schien die gewünschte Wirkung nicht zu verfehlen.
»Tja, wie man es nimmt. Was bekommt man denn für sein Geld?«
Innerlich war Jenna jetzt ein wenig verärgert, solche Sätze und ähnlich nette Phrasen kannte sie noch zur Genüge von den Leuten auf Hermes.
»Kommt darauf an, was du dir vorstellen kannst. Es liegt allein bei dir...«
Jenna zog die letzten Worte etwas in die Länge und warf einen kurzen Blick auf Monica. Die verstand auch gleich, was ihre Freundin im Schilde führte und strich sich gekonnt einige Haare aus dem Gesicht. Der Privateer legte ein Lächeln auf, dann sah er Jenna eingehend an. Zugegeben, sie war wirklich süß. Aber er hatte wohl etwas anderes im Sinn. Und Jenna sollte dabei eine tragende Rolle spielen.
Der Söldner griff in eine seiner Hosentaschen und zum Vorschein kam dabei ein kleines, undefinierbares Gerät. Vom Aussehen her lag das Ding irgendwo zwischen einer Speicherkarte für ein MACS und einem Sensorenaufsatz für einen Scanner an einem Schiff.
Mit einer ungewöhnlich langsam anmutenden Bewegung legte der Söldner das Teil in Jennas Hand.
»Siebenhundert Credits, wenn du und deine Freundin darauf aufpasst.«
Jenna sah ihn ungläubig an.
»Und wenn ich wissen will, was das ist?«
Der Fremde holte tief Luft.
»Siebenhundert jetzt und noch einmal Siebenhundert, wenn du das nicht wissen willst. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Mit Hilfe seines MACS überwies der Söldner umgehend den vereinbarten Betrag, dann machte er einfach kehrt und schritt in die Richtung davon, aus der er gekommen war.
»Wie kommen wir in Kontakt?« Monica rief ihm diese Worte nach.
»Keine Angst – ich finde euch. Ist wirklich kein Problem, wir sehen uns morgen wieder. Und bitte, gib es auf keinen Fall in fremde Hände.«
Der Söldner zog seinen letzten Satz merkwürdig in die Länge, er schien gerade das Wort Hände dabei betonen zu wollen.
Monica war ehrlich gesagt einfach nur sprachlos. Dann fiel ihr aber wieder ein, das sie schon einmal etwas Ähnliches für einen Kunden getan hatten – und zwar hier auf Anhur, kurz nach ihrer Ankunft. Damals sollten sie einen Aktenkoffer für einen kleinen, untersetzten Büroangestellten durch die Gegend schleppen, plus halt eben neben dem Kunden einfach nur gut aussehen. Und im Prinzip war das hier doch nichts wirklich anderes, oder? Obwohl... Die Bezahlung war ungewöhnlich hoch. Jenna schien die Zweifel ihrer Freundin nicht teilen zu wollen, sie schob das Gerät einfach vorne in ihre Korsage.
»Keine Diskussionen. Geld ist Geld, Job ist Job. Wie sieht es aus, machen wir Schluss für heute?« Monica nickte nur.
*
Ein leises Fluchen hallte quer durch den langen Hangar, fast schien es so, als würde jemand arg mit der Technik eines Jägers kämpfen. Nur hatte dieser jemand keinen Overall an, sondern er trug die typische Bekleidung eines Privateers.
»Na? Kommen wir klar?«
Der Angesprochene sah kurz auf seine Gesprächspartnerin, die soeben die Halle betreten hatte und sichtlich amüsiert war.
»Wie man es nimmt. Das Problem ist typisch für neue Maschinen, die Teile sind so dermaßen eingefettet und ölig, dass kein Werkzeug daran halten will. Von den eigenen Händen mal ganz zu schweigen.«
»Ach ja? Was treibst du da eigentlich?«
Neugierig trat sie einen Schritt näher an ihn heran und sah über seine Schulter. Die Erklärung erfolgte sofort.
»Das Fahrwerk der Duress ist zu weich eingestellt. Und bei dem Gewicht der beiden Kravenlaser...«
»Verstehe. Aber dafür gibt es Techniker hier. Und die werden genau dafür auch bezahlt.«
»Das ist mir durchaus bewusst. Aber dieses Nichtstun geht mir langsam immer mehr an die Substanz. Wo sind nur die alten Zeiten geblieben?«
Ein schiefes Lächeln war alles, was der Mann von seiner Partnerin zu sehen bekam.
»Alte Zeiten? Da sehnt sich wohl jemand nach den Kiowan zurück, oder sind es die Söldner von Ricards, die dir so sehr fehlen?«
Der Mann dachte kurz nach. Seit etwa drei Monaten war es ausgesprochen ruhig im Tri-System, es gab so gut wie keine größeren Gefechte mehr, der Großteil der Piraten hatte sich zurückgezogen. Auf der einen Seite waren das gute Entwicklungen, leider ging dies auch ein wenig auf Kosten der Söldner – sie lebten ja vom ständigen Krieg mit Piraten. »Soll ich dir vielleicht helfen?« Sie sah ihn mit großen Augen an, er nickte nur kurz und gab ihr einen hydraulischen Schraubenschlüssel in die Hand.
»Hier ansetzen... Und festhalten.«
Er zeigte auf eine kleine Stelle am Bugfahrwerk seiner Maschine. Mit geübten, fast schon eingespielten Bewegungen setzte sie seine Aufforderung in die Tat um – das festsitzende Teil am Fahrwerk begann sich zu bewegen. Er sah dabei auf ein Pad, das Display zeigte den Fortschritt der Feinjustierungsarbeiten. »Na also, es geht doch. Nur ein kleines Stück noch.«
Sie löste das Werkzeug wieder vom Fahrwerk, dann sah sie ihn an.
»Sonst noch Wünsche, werter Ser Tron?«
Er quittierte das Ganze mit einem Lächeln seinerseits.
»Nein, das wäre dann alles, Sera Drake.«
»Sera Drake... Wie lange ist das her, dass du mich so genannt hast?«
Er behielt sein Lächeln bei.
»Ewig, Kleines. Ich bin dann hier fertig. Gehen wir etwas essen?«
Venice nickte nur, sie legte ihren Arm um seine Hüfte.
»Der Gastgeber zahlt.«
»Ich hatte nichts anderes erwartet, Venice.«
Janus IV war um diese Jahreszeit nicht mehr so stark besucht, es wurde zunehmend kühler draußen und nur für die kurze Zeit, die man hier als Winter bezeichnen könnte, gab es mehr Einheimische als Touristen auf dem Planeten.
Dieser Zustand hielt allerdings nur etwa zwei bis drei Monate an, danach kletterten die Temperaturen wieder steil nach oben.
Deacan und Venice waren vor vier Tagen hier gelandet und für beide war diese Zeit hier der erste wirkliche Urlaub – auch wenn sich beide nicht unbedingt so geben und verhalten konnten wie sie es gerne getan hätten.
Nach wie vor galten beide als tot. Dank der Hilfe von Ser Arris hatten sie mittlerweile neue Identitäten für etwaige Auftritte in der Öffentlichkeit erhalten: Ser und Sera Reese. Okay, der Name war die eine Sache, an die sich die beiden gewöhnen mussten, die andere war eigentlich noch ein wenig komplizierter: Venice und Deacan spielten das frisch verheiratete Pärchen. Und das nahm man als Außenstehender den beiden sogar ab. Tatsächlich waren sich beide mittlerweile sehr nahe gekommen, aus reiner Teamarbeit war eine innige Beziehung entstanden.
Hand in Hand spazierten sie über die großen und angenehm leeren Straßen, dabei waren sie aber ständig darauf bedacht, nicht allzu lange an ein und demselben Schaufenster stehen zu bleiben oder gar jemandem zu sehr aufzufallen. Auch das Äußere der beiden hatte sich ein wenig verändert, der Privateer trug das lange Haar nicht mehr offen, vielmehr nahm er es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Der Bartschatten hatte sich mittlerweile zu einen gepflegten Oberlippen- und Kinnbart gemausert. Seine Partnerin trug das ohnehin schon kurze Haar noch kürzer, der Nacken war hochrasiert, dafür hingen jetzt zwei lange Strähnen vor den Ohren rechts und links kinnlang herunter. Die Farbe erinnerte ein wenig an Erdbeeren, vermengt mit dunkleren Strähnchen. Geblieben waren nur sein alter Mantel und die Vorliebe der beiden für die Farbe Schwarz.
Deacan entschied sich für ein kleines Bistro, hier wollte man schnell etwas essen und anschließend so schnell wie möglich wieder ins Hotel verschwinden.
Ein freier Tisch war schnell gefunden, und noch schneller war nur der Kellner anwesend, man wollte (und durfte) die wenigen Gäste nicht warten lassen, zumal es unzählige Alternativen in den Straßen hier gab. Hier galt er wirklich als Leitmotiv – jener Spruch: der Kunde ist König.
Ein kurzer Blick in die Menükarte offenbarte dem Gast schnell den Ursprung der angebotenen Speisen und Getränke: Crius.
Lebensmittelzusätze oder gar geklonte Inhaltsstoffe suchte man vergeblich in den Speisen, und selbst die Getränke waren noch nicht synthetisch hergestellt. Deacan klappte als erster seine Karte zu, er sah quer über den kleinen, kreisrunden Tisch auf seine Partnerin.
»Den großen Fisch von Seite eins für die Dame.«
Der Kellner nickte, dann sah er auf Venice.
»Und das vegetarische Baguette von Seite drei für den Herren.«
Langsam senkte sie ihre Karte nach unten, ein süßes Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Und was wünschen Sie zu trinken?«
»Rotwein wäre nicht schlecht.«
Der Kellner, ein älterer Herr, wahrscheinlich Anfang Fünfzig, sammelte die Karten ein und verschwand kurzerhand in Richtung Küche. Deacans Blick wanderte einmal quer durch das Bistro, es waren nur drei weitere Tische besetzt. Eine kleine Bar gab es hier auch, sie stand verlassen und etwas versteckt zwischen Unmengen von Grünpflanzen. Zudem gab es einige Monitore, die an den Wänden befestigt waren und auf denen unterschiedliche Nachrichtenkanäle liefen. Eigentlich war das eine regelrechte Informationsflut, die hier auf den Gast losgelassen wurde, aber es hatte sich wohl bislang noch keiner ernsthaft darüber beschwert. Außerdem: nichts war im Tri-System so wichtig wie Informationen, gerade wenn diese aus anderen Sektoren stammten. Venice beugte sich etwas über den Tisch, schnippte kurz mit den Fingern und versuchte so die Aufmerksamkeit ihres Partners wieder zurück zu gewinnen.
»Hallo mein Freund. Nicht träumen. Sonst verpasst du noch dein Essen.«
Deacans Blick aber blieb an einem der Monitore hängen und sein Gesichtsausdruck verhieß dabei nichts Gutes. Venice drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite, sie wollte natürlich wissen, was da so interessant sein könnte. Und auch ihr Mienenspiel wurde ernst.
»...Wie uns vor einer Stunde mitgeteilt wurde, verstarb der ehemalige Senator und wohl bislang berühmteste Insasse des Gefängnistraktes auf Hades, Ser Angus Santana, letzte Nacht durch Suizid – man fand ihn heute morgen gegen 6 Uhr Ortszeit erhängt in seiner Zelle. Wie dies überhaupt im Hochsicherheitstrakt der CIS möglich sein konnte wird derzeit untersucht. Es hat aber den Anschein, dass Santana Hilfe von außen hatte. Mit dem ehemaligen Politiker verschwindet wohl auch die Möglichkeit, Antworten auf einige wichtige Fragen zu erhalten. Der Prozess gegen Ser Santana sollte in gut zwei Monaten beginnen und die Chancen für eine Verurteilung standen im Allgemeinen sehr gut, dank der Aussagen einer ehemaligen Angestellten sowie diverser sichergestellter Dokumente aus den privaten Archiven des Angeklagten. Mit dem Namen Santana wird auch noch heute die Katastrophe von Petra in Verbindung gebracht – und genau dorthin werden wir jetzt eine exklusive Liveschaltung einrichten. Sera Susan Battler ist für uns vor Ort. Susan – wie sieht es derzeit auf dem ehemaligen Schlachtfeld aus?«
Für einige Sekunden blieb das Bild auf dem Monitor schwarz, dann kam eine junge Reporterin ins Bild, zu ihrer linken Seite stand ein ebenfalls noch sehr jung wirkender Offizier der CIS.
»Das ehemalige Schlachtfeld ist wieder belebt – und die Normalität ist anscheinend auf Petra zurückgekehrt. Inzwischen leben hier wieder mehr als sechshundert Menschen, der überwiegende Teil arbeitet in den Wartungshallen des kleinen Raumhafens hier. Petra erholt sich langsam von den grausamen Tagen der Besetzung durch den Piratenclan der Kiowan, aber noch immer arbeitet und lebt man hier mit der Angst. Neben mir steht der offizielle Sprecher der CIS von Petra. Ist die Angst hier unbegründet?«
Der Offizier räusperte sich.
»Unbegründet ist sie auf keinen Fall. Obwohl inzwischen mehr als fünf Monate seit der Befreiung des Planeten vergangen sind, haben wir noch immer mit diversen Sprengfallen und ähnlichen Hinterlassenschaften der Piraten zu kämpfen. Zum Glück gab es in den letzten Wochen keine Verletzten mehr, den letzten Verlust an menschlichen Leben mussten wir vor etwa vier Monaten verzeichnen. Wie gesagt, die Aufräumarbeiten sind eigentlich so gut wie abgeschlossen, aber noch kann von unbeschwertem Leben hier keine Rede sein.«
Die Reporterin nickte dem Soldaten als Dank kurz zu, dann sah sie wieder in die Kamera.
»Und doch geht das Leben weiter. Das war Susan Battler für Tri-System News mit einem Bericht vom Planeten Petra.«
Deacan und Venice sahen sich intensiv an, und beide schienen wohl in etwa auch das Gleiche zu denken: Was zur Hölle war da passiert?
Selbst der gerade wieder auftauchende Kellner mit dem vollen Tablett und der Weinflasche unterm Arm konnte diese Gedanken nicht beiseite schieben.
»Und dafür haben wir unser Leben riskiert? Damit der noble Bürokrat sich still und leise verdrückt? So oder so, wir sind wieder am Anfang. Ich hasse es, wenn so etwas passiert.«
Venice schien aus ihrer Verärgerung kein Hehl zu machen. Ihr Tischgenosse hingegen versuchte zumindest sachlich zu bleiben.
»Das geht auf eine andere Rechnung, Kleines. Jede Wette, da hat jemand anderes die Fäden gezogen. Die Frage ist nur: Wer?«
Er sah dem Kellner kurz beim Einschenken des Weines zu, dann schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Partnerin. »Ich weiß, dass du sauer bist. Hey – ich bin es auch. Immerhin, ein übler Zeitgenosse ist damit weg vom Fenster.«
»Mag sein. Aber dafür gibt es einen Mörder mehr im System. Und das missfällt mir sehr. Wo setzen wir an?«
Der Privateer glaubte sich verhört zu haben.
»Wir? Hatten wir nicht schon genug Ärger am Hals?« Venice versuchte sich in einem Lächeln.
»Ja, stimmt auffallend. Aber ich denke, dass Ser Arris uns sowieso auf die Sache ansetzen wird. Er wird das nicht so einfach auf sich beruhen lassen – das Ganze schreit ja förmlich zum Himmel.«
»Aha. Und du wolltest ihm also schon mal vorweg die Entscheidung über die Wahl der Ermittler abnehmen. Ist ein nobler Zug von dir. Aber nun ja, wenn es nicht anders geht...«
»Sieh es mal von der Seite: Wer wenn nicht wir hatte schon seine Finger so tief in der ganzen Geschichte drinnen? Es wird Zeit, das zu beenden. Auf die eine oder andere Art muss es ein Ende finden.«
Deacan griff zum Glas, er leerte es mit wenigen Zügen. Dann fiel sein Blick auf den Teller, der gerade vom Kellner direkt vor seiner Nase abgestellt wurde. Ruhe, da gehst du nun dahin. »Lass es dir schmecken, Deacan.« Ein schiefes Grinsen lag auf dem Gesicht des Privateers.
»Das wird dann wohl vorerst die letzte Mahlzeit sein, die ich in Ruhe genießen kann, oder?«
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Es war eine wunderschöne und sternenklare Nacht – fast so, wie man sie aus unzähligen Werbeanzeigen her kannte. Die Luft war angenehm warm und es roch nach den süßen und wahrscheinlich zum Großteil auch schon überreifen Früchten einiger Obstbäume, die irgendjemand vor unzähligen Jahren hier angepflanzt hatte.
Der Klang von hohen Absätzen auf dem Mosaiksteinboden durchschnitt die Stille, gepaart mit leisem Stimmengewirr. Zwei recht junge, attraktive Damen schienen die späte Stunde wohl noch zu nutzen... Und sie schienen dies regelmäßig zu tun, denn Müdigkeit war ihnen überhaupt nicht anzusehen.
»Oh je, Augen links. Und ab durch die Mitte.«
Die Blonde wies mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung zweier Herren in Uniform, offenbar eine der vielen Milizstreifen hier auf Anhur. Dummerweise schwenkten die beiden Herren auch schon direkt in die Richtung des weiblichen Duos, man schien sich wohl irgendwie zu kennen.
»Die ID-Card!«
Die Blonde zog einen Schmollmund, holte aber auch umgehend ihre Card aus der Manteltasche hervor. Ihre Freundin tat es ihr gleich, nur zeigte sich auf ihren Lippen ein Lächeln, das leicht spöttisch wirkte. Der Milizionär zog die Stirn ein wenig in Falten, dann räusperte er sich und bemühte sich um einen freundlichen Tonfall. »Na schön. Das ist jetzt das zweite Mal in dieser Woche und die hat eigentlich erst angefangen. Ich sagte doch klar und deutlich, dass ich euch hier nicht mehr sehen will – macht das im Geschäftsviertel, aber nicht hier.«
»Ja, klar doch. Kommt nicht wieder vor.«
Diese Worte aus dem Mund der Blonden hatten einen eigenartigen Klang, es klang nicht nach einem ernsthaften Versprechen, eher wie eine nette zynische Randbemerkung. Alternativ hätte sie auch ein fröhliches du kannst mich mal vom Stapel lassen können, es hätte wohl ganz ähnlich auf den Zuhörer gewirkt.
Der Uniformierte war sichtlich bemüht, nicht die Fassung zu verlieren, er überhörte die nette Phrase ganz einfach.
»Letzte Warnung!«
Er gab die ID-Cards an ihre Besitzer zurück und macht dann auf dem Absatz kehrt. Streit wollte er nicht haben, vielmehr hoffte er wohl innerlich, dass die Zeit bis zum Dienstschluss möglichst schnell vergehen würde.
Glück gehabt, man hörte die beiden weiblichen Nachtschwärmer deutlich aufatmen.
»Jenna... Ich weiß nicht, ob ich dir das schon einmal so gesagt habe, aber ich mag nicht ständig von diesen Leuten da auf die Füße getreten werden. Also frage ich dich mal ganz nett und freundlich was dagegen spricht, den Worten der Herren mit den Dienstmarken einfach mal Folge zu leisten.«
Jenna warf einen ärgerlichen Blick auf ihre Freundin.
»Geld? Credits? Schon vergessen? Hier ist das große Geld zu machen. Im Geschäftsviertel allerdings nicht.«
Ah ja... Credits. In den vergangenen fünf Monaten seit ihrer Ankunft hier auf Anhur hatte sich fast alles nur um dieses eine Thema gedreht.
Dabei gab es einiges anderes, was von Bedeutung war. Anhur war zum Dreh- und Angelpunkt für einige wichtige Ereignisse im Tri-System geworden, angefangen von einer größeren Schlacht im Orbit des Planeten über die spektakuläre Festnahme eines Senators namens Ser Angus Santana bis hin zu kompletten Neuwahlen.
Jemand hatte das ganze System quasi auf den Kopf gestellt – aber Jenna und ihre Freundin Monica erlebten all diese Veränderung nur am Rande mit. Es war nicht wirklich wichtig für die beiden – ihre nächtlichen Streifzüge quer durch das Regierungsviertel aber schon. Obwohl sie sich ursprünglich einmal vorgenommen hatten, ihre eher unrühmliche Karriere als „Bordsteinschwalben“ an den sprichwörtlichen Nagel zu hängen, verfielen sie viel zu schnell wieder in alte Gepflogenheiten. Das hier war leichtes und schnelles Geld, zudem waren die Kunden hier auf Anhur regelrecht gepflegt und besaßen zum Großteil sogar Manieren. Auf Hermes, ihrem alten Aufenthaltsort, war davon fast nichts zu sehen oder gar zu spüren gewesen.
Klar – es gab Ausnahmen, einer verdankten sie auch ihr Ticket hierher, aber diese Ausnahmen bestätigten halt nur die Regel.
Um weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen und vermutlich um keine Nörgeleien von Monica hören zu müssen, gab Jenna für den Augenblick schließlich nach. Das Geschäftsviertel von Anhur war riesig, es gab etliche gute und sehr teure Bars und unzählige Büros für nahezu jede Art von Dienstleistung. Aber leider so gut wie keine Herrschaften aus der Politik. Und genau letztere waren eigentlich das bevorzugte Ziel von Jenna. Diese Leute sahen nicht aufs Geld, sie zahlten einfach und still was man von ihnen verlangte und verschwanden auch immer sehr schnell wieder vom Nachtlager.
Jenna verlangsamte ihren Schritt, sie sah sich dabei nach möglicher Kundschaft um. Männer gab es hier zur Genüge, aber selbst sie war inzwischen wählerisch geworden. Anhur bot viele Möglichkeiten und der Großteil der Bevölkerung hatte viel Geld...
Jenna war nicht mehr gezwungen jede Nacht auf Tour zu gehen – dass sie es trotzdem tat lag wohl daran, dass sie tatsächlich mit dem Gedanken spielte, irgendwann einmal komplett aufzuhören. Sie sparte mittlerweile den Großteil ihres Lohnes und hoffte auf diese Weise für sich und ihre Zukunft etwas zu tun. Monica hingegen war anders – einfach nur Leben. Morgen kann man schon tot sein, dann nützt einem alles Geld der Welt nichts mehr.
Ein junger Privateer schien Jennas Aufmerksamkeit zu erregen, er wirkte seltsam gepflegt und hatte kurze, streng nach hinten gekämmte Haare, die mit etwas Gel fixiert waren. Auch seine Bekleidung zeugte von Geschmack, sie wirkte sauber, war von schwarzer Farbe und schien nicht bereits seit Tagen am Körper getragen zu werden. Der Söldner schien sie wohl bemerkt zu haben, jedenfalls kam er direkt auf das Pärchen zu. Jenna baute sich regelrecht vor ihm auf, ihren Mantel ließ sie mit Absicht ein kleines Stück weit offen, so erlaubte sie recht tiefe Einblicke auf das nur spärlich bekleidete Darunter. »Noch einsam?« Ein wahres Unschuldslächeln begleitete diesen kurzen Satz. Und beides zusammen schien die gewünschte Wirkung nicht zu verfehlen.
»Tja, wie man es nimmt. Was bekommt man denn für sein Geld?«
Innerlich war Jenna jetzt ein wenig verärgert, solche Sätze und ähnlich nette Phrasen kannte sie noch zur Genüge von den Leuten auf Hermes.
»Kommt darauf an, was du dir vorstellen kannst. Es liegt allein bei dir...«
Jenna zog die letzten Worte etwas in die Länge und warf einen kurzen Blick auf Monica. Die verstand auch gleich, was ihre Freundin im Schilde führte und strich sich gekonnt einige Haare aus dem Gesicht. Der Privateer legte ein Lächeln auf, dann sah er Jenna eingehend an. Zugegeben, sie war wirklich süß. Aber er hatte wohl etwas anderes im Sinn. Und Jenna sollte dabei eine tragende Rolle spielen.
Der Söldner griff in eine seiner Hosentaschen und zum Vorschein kam dabei ein kleines, undefinierbares Gerät. Vom Aussehen her lag das Ding irgendwo zwischen einer Speicherkarte für ein MACS und einem Sensorenaufsatz für einen Scanner an einem Schiff.
Mit einer ungewöhnlich langsam anmutenden Bewegung legte der Söldner das Teil in Jennas Hand.
»Siebenhundert Credits, wenn du und deine Freundin darauf aufpasst.«
Jenna sah ihn ungläubig an.
»Und wenn ich wissen will, was das ist?«
Der Fremde holte tief Luft.
»Siebenhundert jetzt und noch einmal Siebenhundert, wenn du das nicht wissen willst. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Mit Hilfe seines MACS überwies der Söldner umgehend den vereinbarten Betrag, dann machte er einfach kehrt und schritt in die Richtung davon, aus der er gekommen war.
»Wie kommen wir in Kontakt?« Monica rief ihm diese Worte nach.
»Keine Angst – ich finde euch. Ist wirklich kein Problem, wir sehen uns morgen wieder. Und bitte, gib es auf keinen Fall in fremde Hände.«
Der Söldner zog seinen letzten Satz merkwürdig in die Länge, er schien gerade das Wort Hände dabei betonen zu wollen.
Monica war ehrlich gesagt einfach nur sprachlos. Dann fiel ihr aber wieder ein, das sie schon einmal etwas Ähnliches für einen Kunden getan hatten – und zwar hier auf Anhur, kurz nach ihrer Ankunft. Damals sollten sie einen Aktenkoffer für einen kleinen, untersetzten Büroangestellten durch die Gegend schleppen, plus halt eben neben dem Kunden einfach nur gut aussehen. Und im Prinzip war das hier doch nichts wirklich anderes, oder? Obwohl... Die Bezahlung war ungewöhnlich hoch. Jenna schien die Zweifel ihrer Freundin nicht teilen zu wollen, sie schob das Gerät einfach vorne in ihre Korsage.
»Keine Diskussionen. Geld ist Geld, Job ist Job. Wie sieht es aus, machen wir Schluss für heute?« Monica nickte nur.
*
Ein leises Fluchen hallte quer durch den langen Hangar, fast schien es so, als würde jemand arg mit der Technik eines Jägers kämpfen. Nur hatte dieser jemand keinen Overall an, sondern er trug die typische Bekleidung eines Privateers.
»Na? Kommen wir klar?«
Der Angesprochene sah kurz auf seine Gesprächspartnerin, die soeben die Halle betreten hatte und sichtlich amüsiert war.
»Wie man es nimmt. Das Problem ist typisch für neue Maschinen, die Teile sind so dermaßen eingefettet und ölig, dass kein Werkzeug daran halten will. Von den eigenen Händen mal ganz zu schweigen.«
»Ach ja? Was treibst du da eigentlich?«
Neugierig trat sie einen Schritt näher an ihn heran und sah über seine Schulter. Die Erklärung erfolgte sofort.
»Das Fahrwerk der Duress ist zu weich eingestellt. Und bei dem Gewicht der beiden Kravenlaser...«
»Verstehe. Aber dafür gibt es Techniker hier. Und die werden genau dafür auch bezahlt.«
»Das ist mir durchaus bewusst. Aber dieses Nichtstun geht mir langsam immer mehr an die Substanz. Wo sind nur die alten Zeiten geblieben?«
Ein schiefes Lächeln war alles, was der Mann von seiner Partnerin zu sehen bekam.
»Alte Zeiten? Da sehnt sich wohl jemand nach den Kiowan zurück, oder sind es die Söldner von Ricards, die dir so sehr fehlen?«
Der Mann dachte kurz nach. Seit etwa drei Monaten war es ausgesprochen ruhig im Tri-System, es gab so gut wie keine größeren Gefechte mehr, der Großteil der Piraten hatte sich zurückgezogen. Auf der einen Seite waren das gute Entwicklungen, leider ging dies auch ein wenig auf Kosten der Söldner – sie lebten ja vom ständigen Krieg mit Piraten. »Soll ich dir vielleicht helfen?« Sie sah ihn mit großen Augen an, er nickte nur kurz und gab ihr einen hydraulischen Schraubenschlüssel in die Hand.
»Hier ansetzen... Und festhalten.«
Er zeigte auf eine kleine Stelle am Bugfahrwerk seiner Maschine. Mit geübten, fast schon eingespielten Bewegungen setzte sie seine Aufforderung in die Tat um – das festsitzende Teil am Fahrwerk begann sich zu bewegen. Er sah dabei auf ein Pad, das Display zeigte den Fortschritt der Feinjustierungsarbeiten. »Na also, es geht doch. Nur ein kleines Stück noch.«
Sie löste das Werkzeug wieder vom Fahrwerk, dann sah sie ihn an.
»Sonst noch Wünsche, werter Ser Tron?«
Er quittierte das Ganze mit einem Lächeln seinerseits.
»Nein, das wäre dann alles, Sera Drake.«
»Sera Drake... Wie lange ist das her, dass du mich so genannt hast?«
Er behielt sein Lächeln bei.
»Ewig, Kleines. Ich bin dann hier fertig. Gehen wir etwas essen?«
Venice nickte nur, sie legte ihren Arm um seine Hüfte.
»Der Gastgeber zahlt.«
»Ich hatte nichts anderes erwartet, Venice.«
Janus IV war um diese Jahreszeit nicht mehr so stark besucht, es wurde zunehmend kühler draußen und nur für die kurze Zeit, die man hier als Winter bezeichnen könnte, gab es mehr Einheimische als Touristen auf dem Planeten.
Dieser Zustand hielt allerdings nur etwa zwei bis drei Monate an, danach kletterten die Temperaturen wieder steil nach oben.
Deacan und Venice waren vor vier Tagen hier gelandet und für beide war diese Zeit hier der erste wirkliche Urlaub – auch wenn sich beide nicht unbedingt so geben und verhalten konnten wie sie es gerne getan hätten.
Nach wie vor galten beide als tot. Dank der Hilfe von Ser Arris hatten sie mittlerweile neue Identitäten für etwaige Auftritte in der Öffentlichkeit erhalten: Ser und Sera Reese. Okay, der Name war die eine Sache, an die sich die beiden gewöhnen mussten, die andere war eigentlich noch ein wenig komplizierter: Venice und Deacan spielten das frisch verheiratete Pärchen. Und das nahm man als Außenstehender den beiden sogar ab. Tatsächlich waren sich beide mittlerweile sehr nahe gekommen, aus reiner Teamarbeit war eine innige Beziehung entstanden.
Hand in Hand spazierten sie über die großen und angenehm leeren Straßen, dabei waren sie aber ständig darauf bedacht, nicht allzu lange an ein und demselben Schaufenster stehen zu bleiben oder gar jemandem zu sehr aufzufallen. Auch das Äußere der beiden hatte sich ein wenig verändert, der Privateer trug das lange Haar nicht mehr offen, vielmehr nahm er es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Der Bartschatten hatte sich mittlerweile zu einen gepflegten Oberlippen- und Kinnbart gemausert. Seine Partnerin trug das ohnehin schon kurze Haar noch kürzer, der Nacken war hochrasiert, dafür hingen jetzt zwei lange Strähnen vor den Ohren rechts und links kinnlang herunter. Die Farbe erinnerte ein wenig an Erdbeeren, vermengt mit dunkleren Strähnchen. Geblieben waren nur sein alter Mantel und die Vorliebe der beiden für die Farbe Schwarz.
Deacan entschied sich für ein kleines Bistro, hier wollte man schnell etwas essen und anschließend so schnell wie möglich wieder ins Hotel verschwinden.
Ein freier Tisch war schnell gefunden, und noch schneller war nur der Kellner anwesend, man wollte (und durfte) die wenigen Gäste nicht warten lassen, zumal es unzählige Alternativen in den Straßen hier gab. Hier galt er wirklich als Leitmotiv – jener Spruch: der Kunde ist König.
Ein kurzer Blick in die Menükarte offenbarte dem Gast schnell den Ursprung der angebotenen Speisen und Getränke: Crius.
Lebensmittelzusätze oder gar geklonte Inhaltsstoffe suchte man vergeblich in den Speisen, und selbst die Getränke waren noch nicht synthetisch hergestellt. Deacan klappte als erster seine Karte zu, er sah quer über den kleinen, kreisrunden Tisch auf seine Partnerin.
»Den großen Fisch von Seite eins für die Dame.«
Der Kellner nickte, dann sah er auf Venice.
»Und das vegetarische Baguette von Seite drei für den Herren.«
Langsam senkte sie ihre Karte nach unten, ein süßes Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Und was wünschen Sie zu trinken?«
»Rotwein wäre nicht schlecht.«
Der Kellner, ein älterer Herr, wahrscheinlich Anfang Fünfzig, sammelte die Karten ein und verschwand kurzerhand in Richtung Küche. Deacans Blick wanderte einmal quer durch das Bistro, es waren nur drei weitere Tische besetzt. Eine kleine Bar gab es hier auch, sie stand verlassen und etwas versteckt zwischen Unmengen von Grünpflanzen. Zudem gab es einige Monitore, die an den Wänden befestigt waren und auf denen unterschiedliche Nachrichtenkanäle liefen. Eigentlich war das eine regelrechte Informationsflut, die hier auf den Gast losgelassen wurde, aber es hatte sich wohl bislang noch keiner ernsthaft darüber beschwert. Außerdem: nichts war im Tri-System so wichtig wie Informationen, gerade wenn diese aus anderen Sektoren stammten. Venice beugte sich etwas über den Tisch, schnippte kurz mit den Fingern und versuchte so die Aufmerksamkeit ihres Partners wieder zurück zu gewinnen.
»Hallo mein Freund. Nicht träumen. Sonst verpasst du noch dein Essen.«
Deacans Blick aber blieb an einem der Monitore hängen und sein Gesichtsausdruck verhieß dabei nichts Gutes. Venice drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite, sie wollte natürlich wissen, was da so interessant sein könnte. Und auch ihr Mienenspiel wurde ernst.
»...Wie uns vor einer Stunde mitgeteilt wurde, verstarb der ehemalige Senator und wohl bislang berühmteste Insasse des Gefängnistraktes auf Hades, Ser Angus Santana, letzte Nacht durch Suizid – man fand ihn heute morgen gegen 6 Uhr Ortszeit erhängt in seiner Zelle. Wie dies überhaupt im Hochsicherheitstrakt der CIS möglich sein konnte wird derzeit untersucht. Es hat aber den Anschein, dass Santana Hilfe von außen hatte. Mit dem ehemaligen Politiker verschwindet wohl auch die Möglichkeit, Antworten auf einige wichtige Fragen zu erhalten. Der Prozess gegen Ser Santana sollte in gut zwei Monaten beginnen und die Chancen für eine Verurteilung standen im Allgemeinen sehr gut, dank der Aussagen einer ehemaligen Angestellten sowie diverser sichergestellter Dokumente aus den privaten Archiven des Angeklagten. Mit dem Namen Santana wird auch noch heute die Katastrophe von Petra in Verbindung gebracht – und genau dorthin werden wir jetzt eine exklusive Liveschaltung einrichten. Sera Susan Battler ist für uns vor Ort. Susan – wie sieht es derzeit auf dem ehemaligen Schlachtfeld aus?«
Für einige Sekunden blieb das Bild auf dem Monitor schwarz, dann kam eine junge Reporterin ins Bild, zu ihrer linken Seite stand ein ebenfalls noch sehr jung wirkender Offizier der CIS.
»Das ehemalige Schlachtfeld ist wieder belebt – und die Normalität ist anscheinend auf Petra zurückgekehrt. Inzwischen leben hier wieder mehr als sechshundert Menschen, der überwiegende Teil arbeitet in den Wartungshallen des kleinen Raumhafens hier. Petra erholt sich langsam von den grausamen Tagen der Besetzung durch den Piratenclan der Kiowan, aber noch immer arbeitet und lebt man hier mit der Angst. Neben mir steht der offizielle Sprecher der CIS von Petra. Ist die Angst hier unbegründet?«
Der Offizier räusperte sich.
»Unbegründet ist sie auf keinen Fall. Obwohl inzwischen mehr als fünf Monate seit der Befreiung des Planeten vergangen sind, haben wir noch immer mit diversen Sprengfallen und ähnlichen Hinterlassenschaften der Piraten zu kämpfen. Zum Glück gab es in den letzten Wochen keine Verletzten mehr, den letzten Verlust an menschlichen Leben mussten wir vor etwa vier Monaten verzeichnen. Wie gesagt, die Aufräumarbeiten sind eigentlich so gut wie abgeschlossen, aber noch kann von unbeschwertem Leben hier keine Rede sein.«
Die Reporterin nickte dem Soldaten als Dank kurz zu, dann sah sie wieder in die Kamera.
»Und doch geht das Leben weiter. Das war Susan Battler für Tri-System News mit einem Bericht vom Planeten Petra.«
Deacan und Venice sahen sich intensiv an, und beide schienen wohl in etwa auch das Gleiche zu denken: Was zur Hölle war da passiert?
Selbst der gerade wieder auftauchende Kellner mit dem vollen Tablett und der Weinflasche unterm Arm konnte diese Gedanken nicht beiseite schieben.
»Und dafür haben wir unser Leben riskiert? Damit der noble Bürokrat sich still und leise verdrückt? So oder so, wir sind wieder am Anfang. Ich hasse es, wenn so etwas passiert.«
Venice schien aus ihrer Verärgerung kein Hehl zu machen. Ihr Tischgenosse hingegen versuchte zumindest sachlich zu bleiben.
»Das geht auf eine andere Rechnung, Kleines. Jede Wette, da hat jemand anderes die Fäden gezogen. Die Frage ist nur: Wer?«
Er sah dem Kellner kurz beim Einschenken des Weines zu, dann schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Partnerin. »Ich weiß, dass du sauer bist. Hey – ich bin es auch. Immerhin, ein übler Zeitgenosse ist damit weg vom Fenster.«
»Mag sein. Aber dafür gibt es einen Mörder mehr im System. Und das missfällt mir sehr. Wo setzen wir an?«
Der Privateer glaubte sich verhört zu haben.
»Wir? Hatten wir nicht schon genug Ärger am Hals?« Venice versuchte sich in einem Lächeln.
»Ja, stimmt auffallend. Aber ich denke, dass Ser Arris uns sowieso auf die Sache ansetzen wird. Er wird das nicht so einfach auf sich beruhen lassen – das Ganze schreit ja förmlich zum Himmel.«
»Aha. Und du wolltest ihm also schon mal vorweg die Entscheidung über die Wahl der Ermittler abnehmen. Ist ein nobler Zug von dir. Aber nun ja, wenn es nicht anders geht...«
»Sieh es mal von der Seite: Wer wenn nicht wir hatte schon seine Finger so tief in der ganzen Geschichte drinnen? Es wird Zeit, das zu beenden. Auf die eine oder andere Art muss es ein Ende finden.«
Deacan griff zum Glas, er leerte es mit wenigen Zügen. Dann fiel sein Blick auf den Teller, der gerade vom Kellner direkt vor seiner Nase abgestellt wurde. Ruhe, da gehst du nun dahin. »Lass es dir schmecken, Deacan.« Ein schiefes Grinsen lag auf dem Gesicht des Privateers.
»Das wird dann wohl vorerst die letzte Mahlzeit sein, die ich in Ruhe genießen kann, oder?«