Privateer - das Erwachen

part 52

*
Deacan öffnete die Augen.
Durch das Fenster konnte man die aufgehende Sonne sehen, am fernen Horizont war der Himmel feuerrot. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass es kurz nach acht Uhr war. Eine blöde Zeit. Zum Schlafen zu spät, zum Aufstehen noch zu früh.
Hinter sich spürte er Chyna, sie lag eng an ihn geschmiegt und schlief noch. Ihr Arm ruhte auf seiner Hüfte. Und Deacans Engelchen schnarchte. Zwar sehr leise, aber doch deutlich vernehmbar. Ansonsten war alles ruhig. Deacan drehte sich auf den Rücken, sein Blick blieb an der Decke hängen.
Er dachte dabei über die Ereignisse der vergangenen Tage nach. So viel wirres Zeug schoss ihm regelrecht durch den Kopf. Angefangen von Ser Ricards und seiner verfluchten Gilde, den Kiowans, alten Freunden und neuen Feinden. Wie schnell sich doch ein Leben ändern konnte!
Bis vor kurzem verlief sein Leben in eher geordneten Bahnen, wenn man das so nennen wollte. Im Klartext hieß das, Deacan stand früh auf, kletterte in sein Cockpit, flog dann bis spät in die Nacht hinein und schoss nebenbei etlichen Piraten den Hintern weg. Danach kassierte er die Kopfgelder ein und legte sich wieder aufs Ohr.
Und jetzt? Diese Routine war nicht mehr drin. Die Tür wurde leise geöffnet, Sera Drake trat ein.
„Klopfen Sie nie an?“
Drake lächelte, dann antwortete sie im Flüsterton.
„Doch schon. Aber ich dachte mir, dass Sie schon wach sind und Chyna noch schlafen würde. Und ich wollte Ihre Freundin nicht wecken.“
„Nett von Ihnen, ich werde Ihre Freundlichkeit und Rücksichtnahme an die betreffende Person weiterleiten. Was gibt’s denn so wichtiges?“
Drake hielt ein MACS in ihren Händen, sie gab es an Deacan weiter.
„Sie wünschten doch, dass ich Kontakt zu Ser Arris aufnehmen sollte und Sie wollten doch etwas über den Bladejäger wissen, der uns gestern so hilfreich zur Seite stand.“
„Und?“
Drake zögerte einen Augenblick.
„Ser Arris hatte keine Truppen in der Gegend. Irrtum ausgeschlossen. Sie haben das erwartet, oder?“
Deacan nickte.
„Ich hatte es befürchtet. Das macht einiges komplizierter.“
„Ser Arris stellt Nachforschungen an, was es mit diesen Jäger auf sich hat. Er war alles andere als erfreut. Vor allem interessierte ihn die Frage, woher dieser Jäger stammt, sprich wo er gebaut wurde. Wir vermissen nämlich keine unserer Maschinen.“
Vorsichtig und behutsam löste sich Deacan aus Chynas Umklammerung, stand auf und ging aufs Fenster zu. Drake stellte sich hinter ihn und sah über seine Schulter nach draußen.
„Wie geht es jetzt weiter, Ser Tron?“
„So genau weiß ich das auch noch nicht. Wir fliegen noch einmal nach Petra. Irgend etwas stimmt dort nicht, das weiß ich.
Mein Verstand sagt mir, dass etwas Grosses passiert ist. Etwas, mit dem wir nicht gerechnet haben. Wieso zum Teufel war keiner von Ricards Leuten vor Ort? Das passt nicht ins Bild. Auf der einen Seite versucht er auf Biegen und Brechen eine Allianz mit den Kiowans zu erzielen, und dann lässt er scheinbar seine Partner hängen.“
Deacans Blick ging wieder zu Drake, plötzlich war da ein schrecklicher Gedanke. Was wäre, wenn Ricards bereits...
„Drake, wecken Sie unsere Leute. Wir treffen uns in zehn Minuten hier!“
Drake nickte als Bestätigung, dann verließ sie auf leisen Sohlen das Zimmer.
 
part 53

*
„Da ist er, der Planet Serca.“
Ivy lenkte Teannas Aufmerksamkeit nach vorn. Die Skecis hatte den Hyperraum hinter sich gelassen, der Zielplanet lag vor ihnen. Die Zeit an Bord war recht schnell vergangen.
Und das, obwohl Teanna und Ivy sich fast die ganze Zeit lang nur anschwiegen. Viel hatten sich die beiden auch nicht zu sagen, Teanna war von Ivy enttäuscht, die ihrerseits Angst hatte, eine gute Freundin zu verlieren.
Auf dem Radarschirm der Skecis konnte Ivy keine Bedrohung ausmachen, sie ging alles deshalb mit Ruhe und Gelassenheit an. Im Raum um Serca befanden sich lediglich ein paar Frachter, meist kleinere Versionen, sowie zwei oder drei Jäger.
Nichts bedrohliches.
Und doch machte Ivy einige Scanns, zumindest von den Jägern. Man wusste nie, wer da genau hinter den getönten Cockpitverglasungen am herumwerkeln war. Und ob die Piloten einem freundlich oder gar feindlich gesinnt waren, stand leider auch nicht draußen auf den Maschinen geschrieben.
Da sich anscheinend keiner so recht für die kleine Skecis interessierte, schwenkte Ivy auf einen Kurs ein, der direkt nach Serca führte. In einigen Minuten würden sie wieder festen Boden unter ihren Füssen haben. Ivy hoffte Manley zu erreichen, die CIS musste dringend von der Einnahme Petras durch die Kiowans erfahren.
Sicher, sie könnte auch einfach zum nächsten CCN-Terminal gehen und von dort aus die schlechte Nachricht verbreiten. Auf den zweiten Blick war das aber eine blöde Idee, man würde die Nachricht möglicherweise bis zu ihr zurück verfolgen können.
Nein, Manley war da die bessere Wahl. Auf dem Radar erschien ein weiterer Jäger, ein Schiff von Typ Heretic. Ein wirklich schönes Schiff, elegant im Design.
Es war soeben ins System gesprungen.
Und der Pilot schlug die gleiche Richtung wie Ivy ein. Entweder der Typ hatte es sehr eilig, oder er hatte vor sich einen bezahlten Mordauftrag zu liegen, auf jeden Fall flog er mit eingeschalteten Nachbrennern hinter der Skecis her und holte dabei ständig auf.
Teanna, die hinter Ivy saß und zum Nichtstun verdammt war, bemerkte die Unruhe, die plötzlich in ihrer Partnerin aufstieg.
„Stimmt etwas nicht, Ivy?“
„Du scheinst tatsächlich noch sauer auf mich zu sein, sonst hättest du zu mir „liebste Ivy“ gesagt. Aber um auf deine Frage einzugehen, da kommt vermutlich Ärger von hinten. Eine Heretic.“
Teanna drehte sich um. Den Jäger konnte man jetzt nicht mehr übersehen, er wurde immer größer.
„Vorschläge?“
Ivy brachte die Waffen der Skecis in Bereitschaft.
„Abhauen ist nicht drin, der ist nämlich schneller. Kämpfen wäre die zweite Option, ist aber genauso bescheuert, dessen Schilde und Waffen sind wesentlich besser als unsere.“
Teanna wandte ihren Blick wieder nach vorn, sie suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Und sie fand eine.
„Ändere den Kurs. Steuere den Frachter da drüben an.“
Ivy zögerte.
„Wieso? Das bringt uns ziemlich weit vom Kurs ab.“
„Ich weiß. Vertrau mir einfach.“
Aha, Teanna schenkte zwar Ivy kein Vertrauen mehr, umgekehrt sollte Ivy jetzt aber auf Teannas Idee vertrauen. Komische Zeiten. Ivy änderte aber wie gewünscht ihren Kurs, die Skecis jagte jetzt auf einen Ilia-Frachter zu.
Die Heretic passte ihren Kurs an, damit war Ivy klar, das der Pilot es tatsächlich auf sie abgesehen hatte.
„Festhalten, Teanna. Er ist in wenigen Sekunden in Waffenreichweite.“
Kaum waren Ivys Worte verhallt, flogen auch schon die ersten Salven aus den Geschützen der Heretic in Richtung der Skecis. Ivy begann, den Jäger um die Längsachse zu drehen, sie minimierte damit die Anzahl der Treffer. Gleichzeitig schaltete sie den Nachbrenner hinzu.
Etliche Schüsse verfehlten Ivys Maschine, dafür trafen sie jedoch den Frachter, der sich ja in der Flugschneise befand.
Keinen Frachter des Tri-Systems konnte man unter Beschuss nehmen, ohne dafür eine Quittung zu bekommen, die Kommandanten dieser Schiffe nahmen es damit sehr genau. Und für die Besatzung der Ilia stand fest, wer da auf sie feuerte: die Heretic.
Innerhalb von Sekunden schwenken die Geschütztürme des Frachter herum, nahmen die Heretic als Ziel und feuerten. Als das Höllenfeuer vom Frachter begann, riss Ivy die Skecis nach oben, der Pilot der Heretic sah zu spät, was Sache war. Sein Schiff wurde vom gegnerischen Feuer eingedeckt, er sah sich gezwungen, abzudrehen.
Für Ivy und Teanna entstand auf diese Weise ein zeitlicher Vorsprung, den sie nutzten, um mit voller Geschwindigkeit näher an Serca zu kommen. Während die Heretic Mühe hatte, sich aus der Waffenreichweite des Frachter zu bewegen, erhielt Ivy ihre Landeerlaubnis, und die Skecis verschwand in der Atmosphäre. Einmal mehr hatten sie Glück gehabt.
Die Heretic folgte der Skecis nicht zur Oberfläche des Planeten, der Pilot hatte besseres zu tun. Er sah seinem Ziel hinterher.
„Es gibt immer ein nächstes Mal.“
Er sprach diese Worte leise vor sich hin, dann drehte er ab und nahm Kurs auf die nächste Jumpboje.
 
part 54

*
Es wurde eng, als alle Piloten aus Deacans Team sich in dessen Zimmer versammelt hatten. Einigen war die vergangene Nacht noch sehr deutlich anzusehen, der Alkohol hatte Spuren hinterlassen.
Deacan selbst hatte sich am Fenster positioniert, seine Gäste standen im Halbkreis um ihn herum. Der Privateer wartete, bis etwas Ruhe eingekehrt war, dann begann er.
"Wir fliegen zurück nach Petra und landen dort.“
Ein Raunen ging durch die Runde.
„Wozu, Ser Tron? Die Kiowans haben wir platt gemacht, die CIS vom Planeten kann den Rest erledigen.“
Einige Privateers stimmten den Zwischenrufer zu.
„So einfach ist das nicht. Hat sich keiner von euch gefragt, wo die CIS war? Ich habe kein einziges Schiff von denen gesehen. Auch keinen Privateer, obwohl wir die Kopfprämie für Kiowans um Petra herum erhöht hatten.
Wieso haben wir keinen Kontakt zum Planeten bekommen? Zähle ich all diese Punkte zusammen, komme ich auf folgendes Ergebnis: wir wurden bereits erwartet. Die wollten möglicherweise nur sehen, wie es um unsere Schlagkraft bestellt ist. Diese Kiowanjäger flogen wie Anfänger. Als ob sie auf einfache Manöver programmiert gewesen wären.“
Deacan warf einen eindringlichen Blick auf seine Kameraden.
„Die ganze Sache stinkt gewaltig. Wir sollten noch einmal nachsehen. Und zwar sofort. Aufbruch ist in fünf Minuten. Das war dann erst einmal alles.“
Die Menge ging auseinander, nur Manley blieb bei Deacan stehen.
„Sind Sie sich sicher, Ser Tron?“
„Nicht ganz. Ich weiß es klingt verrückt, aber erinnern Sie sich an den Bladejäger gestern?“
Manley nickte.
„Allerdings, der Pilot war ja kaum zu bremsen.“
„Ich weiß aus sicher Quelle, dass die Maschine nicht vom Clan stammte. Fragen Sie mich bitte nicht, woher ich diese Information habe.“
„Das brauche ich auch nicht zu fragen, ich weiß genau wer der Arbeitgeber von Sera Drake ist. Sie auch.“
„Ja, Ser Arris war mir eine große Hilfe. Verstehen Sie jetzt mein Verhalten?“
„Ich denke ja. Sagen Sie es dem Team?“
„Später. Ich will vermeiden, dass einer von denen Fragen stellt und letzten Endes noch seine Waffen auf Drake richtet. Sie wissen ja, das viele Privateers einiges dafür geben würden, wenn sie auch nur ein einziges Clanmitglied vor ihr Visier bekommen könnten.“
Manleys MACS machte sich bemerkbar, jemand wünschte Kontakt.
„Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick, Ser Tron.“
Manley aktivierte das Gerät, eine Mail erschien auf dem Display, geschrieben von Sera Ivy Banks. Sie war also auch auf Serca gelandet, mit Sicherheit war dann auch Sera Tasker nicht weit.
Sera Banks bat um ein privates Gespräch, sie gab an, das es dringend sei und es keinerlei Aufschub duldete. Treffpunkt war der Raumhafen. Wieder einmal. Da die Landebucht von Sera Banks eine andere war als von Deacan und Co, sie lag am Nordende der Metropole, während Deacans Staffel im Raumhafen innerhalb der City stand, sah sich Manley gezwungen ihre Teilnahme an der Mission nach Petra vorerst zu verschieben.
Sie würde aber nachkommen. Sie deaktivierte das Gerät, wandte sich wieder Deacan zu.
„Tja, ich bekomme Besuch. Unsere Engel sind gelandet.“
„Engel? Sie meinen wohl eher Teufelchen. Teanna und Ivy, wer käme da wohl sonst in Frage. Ist es nicht seltsam, das sich unsere Wege immer wieder kreuzen?“
„Zufall ist das nicht, Ser Tron. Die zwei haben mich um ein Gespräch gebeten, ich kann es natürlich absagen, wenn Sie das wünschen.“
„Nein. Erledigen Sie das und kommen Sie dann einfach nach. Wir sehen uns im Petra-System.“
„Einverstanden. Man sieht sich, bye.“
Manley verließ den Raum, Deacan griff sich seinen Mantel.
„Chyna, bist du soweit?“
Deacans Partnerin kam aus dem Nebenzimmer.
„Kann losgehen, Deacan. Obwohl ich kein gutes Gefühl dabei habe.“
„Dann geht es dir wie mir. Komm, es wird Zeit.“
 
part 55

*
Noch während ihres hektischen Landeanfluges hatte Ivy eine Mail an Sera Manley geschickt, nun hoffte sie, dass die CIS-Agentin so schnell wie möglich nach Serca kommen würde.
Woher sollte sie auch wissen, dass Manley bereits vor Ort war?
Kaum hatte die Maschine aufgesetzt, ging der Krach zwischen Teanna und Ivy weiter. Beide hatten den Jäger vor wenigen Augenblicken verlassen und standen sich nun Auge in Auge gegenüber. Ivy wagte den ersten Schritt.
„Bist du in Ordnung?“
Keine Antwort. Zumindest keine verbale, dafür holte Teanna aber mit aller Kraft aus und landete einen Faustschlag inmitten von Ivys Gesicht. Ivy fand sich am Boden liegend wieder, mit ihrer Hand fuhr sie über ihr schmerzendes Gesicht. Ihre Lippe war aufgeplatzt, Blut lief ihr aus dem Mundwinkel.
„Bist du jetzt fertig?“
Teanna schüttelte ihren Kopf, sie atmete schwer.
„Oh nein. Am liebsten würde ich dir gleich noch eine verpassen, aber meine Hand tut weh.“
„Na gut. In meinen Augen sind wir jetzt quitt, Teanna.“
„Wir werden sehen, Ivy, wir werden sehen. Bleiben wir hier und warten auf Manley?“
Ivy stand auf, sie war noch etwas benommen von Teannas Schlag.
„Es dürfte das beste sein, wenn wir in der Nähe des Raumhafens bleiben. Dort drüben ist ein Gasthaus, von dort aus können wir den Hangar überblicken.“
Ivy wollte bereits drauf los marschieren, doch Teanna hielt sie zurück.
„Du willst doch nicht so da rein, oder?“
Sie wies mit der Hand auf Ivys Gesicht, dann holte sie ein Taschentuch hervor.
„Halt still.“
Vorsichtig wischte sie das Blut von Ivys Mund.
„Frag mich bitte nicht, warum ich das tue. Manchmal bin ich einfach viel zu gutmütig. Tja, mein Fehler, leider nicht der einzige. Sonst hätte ich schon vor zwei Jahren einen großen Bogen um dich gemacht.“
„Bist du wirklich der Ansicht, dass die Zeit mit mir ein Fehler war?“
Teanna hielt kurz inne.
Ein Fehler? Sicherlich nicht, immerhin hatte Ivy ihr eigentlich nie etwas getan. Und wenn es tatsächlich stimmte, dass ihr Vater sie nur von Petra fern halten wollte, hatte sie eigentlich keinen Grund, noch auf Ivy böse zu sein.
Trotzdem würde es einige Zeit dauern, bis sie ihrer Freundin wieder volles Vertrauen schenken würde.
„Frag mich das bitte ein anderes Mal, okay?“
Abgesehen von der Tatsache, dass ihr Gesicht ein wenig geschwollen war, sah Ivy wieder normal aus. Teanna steckte ihr Taschentuch wieder ein, dann sah sie in Richtung des Gasthauses.
„Du zahlst, Ivy.“
„Einverstanden. Aber nur ausnahmsweise, ist das klar? Das darf nicht zur Normalität werden.“
Lange mussten sie nicht warten, bereits eine viertel Stunde später tauchte Manley draußen vor dem Gasthaus auf. Teanna bemerkte sie zuerst.
„Nun sieh mal an, wer da ist.“
Sie stieß Ivy, die neben ihr saß, leicht in die Seite.
„Ging aber ganz schön flott. Los, mach dich mal bemerkbar.“
Teanna stand auf, ging zum Fenster und klopfte ans Glas. Nur Manley bemerkte oder besser hörte Teannas Klopfen nicht, das Glas war schalldicht – ansonsten hatte jeder Start und jede Landung einer Maschine den Gästen das Gehör ruiniert.
Als Folge daraus begann Teanna etwas stärker gegen das Glas zu schlagen. Wieder zeigte Manley keine Reaktion. Dann eben anders, Teanna sah sich suchend im Raum um.
Ivy schritt jedoch ein, als Teanna sich gerade einen Stuhl greifen und mit diesem einen Treffer gegen das Fenster platzieren wollte.
„Stell bitte diese Sitzgelegenheit zurück an ihren Platz, Teanna. Ich gehe ja schon raus und gebe Manley Bescheid.“
Na also, es ging doch. Innerlich war Teanna nämlich zu faul, um sich nach draußen zu begeben. Sie nahm wieder am Tisch Platz und griff nach ihrem Drink, Ivy begab sich zur Tür, blieb dort stehen.
„Sera Manley! Hier drüben!“
Die Agentin sah in die Richtung, aus der die Worte kamen. Sofort erkannte sie Sera Banks und kam auf sie zu.
„Interessant, dass Sie diesmal etwas von mir wollen, Sera Bank. Und nicht umgekehrt.“
„Wenn es nicht so wichtig wäre, dann würde ich es auch vorziehen, Ihnen nach Möglichkeit aus den Weg zu gehen. Aber bitte nehmen Sie das nicht persönlich, Sera Manley.“
„Keine Angst, wenn ich alles, was man mir in den letzten Jahren an Beleidigungen oder ähnliches an den Kopf geworfen hat, persönlich nehmen würde, wäre ich längst ein Fall für die Couch eines Psychologen.
Dann würde ich viel mehr Zeit mit ihm verbringen als mit Ihnen und Ihrer Partnerin. Und das wäre doch schade, oder?“
Anstatt zu antworten, trat Ivy einen Schritt zur Seite und wies Manley an, doch einzutreten. Die kam der Aufforderung umgehend nach und lenkte ihre Schritte hin zum Tisch, an dem Teanna saß.
Manley nahm Platz, ihr fiel Teannas Gesichtsausdruck auf, der auf Ärger schließen ließ. Sie wollte sich nach dem Grund für die dicke Gewitterwolke über Teannas Kopf erkundigen, Ivy machte ihr aber einen Strich durch die Rechnung, indem sie ihr einfach zuvor kam.
„Sera Manley, wir kommen gerade von Petra.“
„Was Sie nicht sagen, Sera Banks. Ich war auch vor kurzem dort. Ist ein hübsches Stück vom Universum, oder?“
„Es war ein hübsches Stück, Sera Manley. Jetzt ist es mit Kiowans verseucht.“
Manley schüttelte mit den Kopf.
„Unsinn. Erst gestern haben wir dort eine Säuberungsaktion durchgeführt, mit Erfolg übrigens.“
„Wann haben sie den Planeten verlassen, wenn ich das mal fragen darf?“
„Den Planeten? Wir sind erst gar nicht dort gelandet, es war nicht nötig.“
Ivy wies auf Teanna.
„Wir waren aber auf Petra. Der Planet ist evakuiert worden, auf Anweisung des CIS-Kommandanten Ser Allan Tasker.“
Manley schwieg einen Augenblick lang.
„Geht das etwas genauer?“
„Sie wollen Einzelheiten? Hier sind sie. Vor einigen Stunden sind mehr als sechshundert Jäger der Kiowans in das Petra-System eingedrungen. Eine Vorhut dieser Streitkräfte hat nur wenige Stunden zuvor die gesamte Abwehrflotte des Planeten vernichtet.
Die Chancen, das die verbliebenen Bodentruppen der CIS zum jetzigen Zeitpunkt noch leben, ist gleich Null. Noch Fragen?“
Manleys Augen wurden groß. Ser Deacan Tron und die anderen waren dorthin unterwegs, ihr Ziel hieß Petra. Sie würden definitiv in die Falle gehen, sie hätten nicht einmal den Anflug einer Chance. Es sei denn, sie würde das mit allen Mitteln verhindern.
Manley riss ihr MACS ruckartig vom Mantelkragen, sie öffnete einen Kanal.
„Computer, lokalisiere Jäger von Ser Deacan Tron, ID 7909-D, Priorität eins!“
Einen Augenblick lang war Ruhe, dann erklang die Stimme des MACS.
„Anfrage nicht ausführbar, Störungen im Hyperraum entdeckt.“
Störungen?
„Die Kiowans haben im gesamten Hyperraum um Petra Geräte verteilt, die jegliche Langstreckenkommunikation dorthin verhindern.
Tut mir leid, aber an ihrer Stelle würde ich Ser Tron abschreiben. Ich meine, ihr Verhalten lässt darauf schließen, das Ser Tron unterwegs nach Petra ist, oder? Schade eigentlich, irgendwie war der Kerl sogar richtig liebenswert auf seine Weise. Ist halt der Lauf des Lebens, irgendwann erwischt es jeden.“
In Teannas Stimme fand sich keine Gefühlsregung wieder. Manleys Gesicht wurde aschfahl. Sie stand auf.
„Bitte entschuldigen Sie mich. Sera Banks, Sera Tasker, ich danke Ihnen für diese Informationen. Die CIS wird sich sicherlich bei Ihnen erkenntlich zeigen.“
„Meinen Sie damit einen kleinen Barscheck?“
Manley sah auf Teanna herab. Meinte die junge Pilotin es wirklich so, wie sie es gesagt hatte? Ging es ihr nur um Geld?
„Ich werde sehen, was sich machen lässt. Meine Damen, auf Wiedersehen.“
Manley verließ mit schnellen Schritten das Gasthaus. Tron zu warnen war aussichtslos, vermutlich würde er nicht lebend zurück kommen. Die Streitkräfte der CIS waren Manleys letzte Hoffnung.
Zugebenden, eine kleine Hoffnung, nur verschwindend gering.
 
part 56

*
„Manley weiß gar nicht, was sie hier verpasst. Wenn sie ankommt, ist das Gebiet sauber und die Getränke bereits gekühlt.“
In Drakes Stimme schwang eine große Portion Selbstsicherheit mit.
„Wieso sauber? Wir haben Petra doch schon vom Piratenpack befreit gehabt, oder obliege ich da einem Irrtum?“
Dawson schien etwas unsicher zu sein. Nicht nur sie, Deacan ging es nicht viel anders. Ja, sie hatten die Kiowans beiseite geschafft.
Oder etwa doch nicht? Petra war nicht mehr weit entfernt, keiner der Sensoren zeigte etwas an, das auf eine Bedrohung schließen ließ. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde sich zeigen, ob Deacans Befürchtungen etwas mit der Realität zu tun hatten.
„Tron an das gesamte Team. Es geht alles wie beim letzten Mal, erst schießen, dann Fragen stellen, okay?
Bringt eure Waffen in Bereitschaft. In einer Minute und dreißig Sekunden fallen wir aus dem Hyperraum.“
In Gedanken wünschte er seinen Leuten noch viel Glück. Was er jetzt brauchte, war etwas optimistisches Denken. Wird schon schief gehen, dachte er still für sich. Was sollte denn auch groß passieren?
Gut, möglicherweise waren jetzt Ricards Leute vor Ort, vielleicht waren sie einfach zu spät los geflogen und hatten deshalb nicht am vorherigen Gefecht teilgenommen. Oder einige Kiowans waren wieder im Zielgebiet, vielleicht ein paar Schiffe mit Versorgungsgütern, der Nachschub sozusagen.
Aber egal, was oder wer auch immer im Petra-System auf sie warten würde,
Deacan würde es ihnen nicht leicht machen. Versprochen.
Deacans Duress und die anderen Jäger fielen fast simultan wieder auf die Normalgeschwindigkeit zurück.
Wörtlich gesprochen waren sie allerdings in ein Wespennest gefallen. In ein Wespennest, bewacht von unzähligen Kiowanjägern, alle bestens bewaffnet.
Kaum hatten unsere Privateers wieder die Flugkontrolle in den eigenen Händen, erkannten sie auch schon die völlige Ausweglosigkeit ihrer Mission. Sie wurden sofort unter heftigen Beschuss genommen und mussten zum Teil schwere Treffer einstecken.
Es war das völlige Chaos. Egal, ob man nach rechts oder links ausscherte, die Kiowans waren überall. Eine wahre Welle aus Raketen jagte auf Deacans Team zu. Zwei seiner Kollegen erwischte es sofort, sie hatten noch nicht einmal selbst den Abzug ihrer Geschütze betätigen können.
Wirre Funksprüche erreichten den Jäger des Privateer, eine Mischung aus Verzweiflung und purer Angst.
„Schilde ausgefallen...verliere Kontrolle...kann nicht...“
Die Straith, von der dieser Funkspruch gekommen war, verschwand in einer gleißenden Explosion. Keine Chance für den Piloten. Zeit zum trauern hatte man nicht. Zwei Kinder und eine Frau, das war alles, was der Straithpilot hinterließ.
Deacan suchte die Umgebung nach seinen Leuten ab, und er fand sie, wenn auch nur mit Mühe. Denn die Gegend wimmelte nur so von Maschinen der Kiowans, man sah eigentlich nichts anders.
Kämpfen war zwecklos, egal wie lange das Söldnerteam überleben würde. Denn in etwa achthundert Kilometern Entfernung sahen sie schon eine zweite Welle aus Kiowans auf sich zu kommen. Schätzungsweise doppelt so viele Jäger wie die, die bereits in das Gefecht verwickelt waren.
Und wenn Deacan sich nicht täuschte, warteten noch mehr Jäger in direkter Nähe zum Planeten nur darauf, jeden Eindringling zu vernichten. Rückzug. Die einzige Alternative zum Tod. Und der war hier so sicher wie das Amen in der Kirche.
„Sofortiger Rückzug! Treffpunkt ist Serca, verschwindet von hier, sofort.“
Jetzt erst fiel dem Piloten auf, wie stark seine Duress eigentlich schon beschädigt war. Die Schilde waren auf null, seine Heckpanzerung im Prinzip nicht mehr vorhanden. Er verlor Treibstoff, seine Raketenaufhängungen waren nutzlos, zumal sein Feuerleitsystem ausgefallen war.
Die Jumpboje war jetzt das einzige, was wirklich wichtig war. Sie zu erreichen, das war im Moment das einzig wahre Ziel. Und man sollte lieber beten, dass es keinen Treffer am Sprungtriebwerk gab. Dann nutzte einem die Boje nämlich auch nichts mehr.
Deacan sah Drakes Shaman, die gerade vor ihm im Hyperraum verschwand. Danach aktivierte er selbst sein Sprungtriebwerk. Er vernahm das typische Geräusch, das immer dann entstand, wenn sich der Generator des Triebwerkes mit Energie auflud.
Dann verschwand die Schlacht aus seinen Blickfeld. Das Schwarz des Hyperraum wirkte seltsamerweise beruhigend.
„Hier ist Tron, erbitte Statusbericht.“
„Wir haben vier Jäger verloren, Ser Tron. Alle verbliebenen Maschinen sind schwer beschädigt. Meine Shaman kann ich wohl verschrotten, die Reparatur lohnt sich nicht mehr.“
Die anfängliche Selbstsicherheit war jetzt aus Drakes Stimme verschwunden. Sie hatten eine bittere Niederlage kassieren müssen, Petra war verloren.
In Deacans Augen war diese Niederlage aber bei weiten nicht das schlimmste. Der Horror hatte gerade erst angefangen. Petra war dabei nur die erste Episode gewesen.
Viel schlimmeres kam noch auf sie zu. Und auf das gesamte Tri-System.
 
Schaue Tag für Tag wieder rein, aber nix neues :(
War das das letzte Kapitel des ersten Buchs ? Konzipiert als "Cliffhanger" ?

Looking each day for something new :(
Is chapter 56 the last chapter of first book ? Some kind of "cliffhanger" ?
 
@Bakhtosh: nope, this is not the end of the book, it's just quite a bit more than 1/3 of the novel itself.

I will surely post more, but for now I decided to make a short stop - my "bookprinting store" is now in talks with a lawyer, since we both are searching for a way of a normal publication.

I hope you understand this.

Deacan
 
@Deacan:
I surely can understand it. I just wanted to know why you suddenly stopped posting new chapters. I was always eager to read the next one ;)
 
criticalmass said:
Looking nice... - but who's Aaron Ulysses Hawke? New Pseudonym?

Yes, it's me - named the author and the main character from the book the same will somehow look stupid...

So we came along with Aaron Ulysses Hawke. Do you like it?
 
Errr, well, what should I say?

A quick cross-check reveals that there is no known Aaron Ulysses Hawke on the internet, and no Ulysses Hawke either.

But Aaron Hawke seems to be an actor for adult homosexual-oriented movies. I don't know if you'd like all the fan mail you could get from that angle...
 
part 57

*
Manley saß in ihrer Aurora und wartete. Seit etwa anderthalb Stunden. Sie befand sich noch immer im Serca-System und flog ständig in der Nähe der Jumpboje nach Petra umher. Ursprünglich hatte sie Ser Tron auf direktem Weg folgen wollen, das jedoch war ihr von Ser Hassan verboten worden. Keine Aktionen von Schiffen oder Personen der CIS im Petra-System.
Das waren Hassans Worte, kurz nachdem Manley ihm Bericht erstattet hatte. Der Chef der CIS wollte zuerst die Streitkräfte der Miliz neu formieren, um einen Gegenschlag planen zu können. Pläne machen. Da draußen starben Manleys Freunde und Hassan musste erst Pläne machen. Unbegreiflich für die Agentin. Sie scannte ständig den Hyperraum in der näheren Umgebung in der Hoffnung, dass Tron oder einer seiner Leute lebend wieder kamen. Nur tat sich leider überhaupt nichts. Und mit jeder Minute die verstrich, verschwand auch von Manleys Hoffnung ein weiteres kleines Stück.
Dann allerdings meldete ihr Bordcomputer einige Kontakte im Hyperraum. Es waren aber nur vier Objekte, die von den Sensoren erfasst wurden. Ser Trons Team hatte aber aus neun Jägern bestanden. War das vielleicht der Rest, die wenigen Überlebenden? Die vier Schiffe tauchten unmittelbar vor Manley auf und ja, es waren die wenigen Überlebenden.
»Manley an Ser Tron, brauchen Sie Hilfe?« Deacan atmete erleichtert auf. Von seiner Duress war nicht mehr viel übrig, wie schwarze Pinselstriche überzogen unzählige Treffer den Stahl seiner Maschine.
»Tron an Manley. Sie glauben gar nicht, wie froh ich bin, Sie hier zu sehen.«
»Das kann ich nur erwidern. Sera Banks teilte mir mit, dass Kiowan die Gewalt über Petra erlangt haben und wenn ich mir Ihren Jäger so ansehe, dann dürfte das wohl zutreffend sein.«
»Allerdings. Wir hatten keine Chance, vier Jäger haben wir sofort verloren.«
»Und wo ist dann Nummer fünf?«
»Das war Ser Suman. Sein Hyperraumtriebwerk versagte nur kurz nach dem Sprung in den Hyperraum, es hat seinen Jäger zerrissen, noch dazu genau vor uns. Meine Duress und Drakes Maschine haben etliche der Trümmerteile abbekommen, es grenzt schon an ein Wunder, dass wir es überhaupt bis hierher geschafft haben.«
»Immerhin haben Sie es geschafft. Folgen Sie mir bitte nach Serca, ich schätze mal, dass wir einiges zu bereden haben.«
 
part 58

*
»Und? Wie viel kostet es?« Chyna hatte auf Deacan gewartet, während er mit einem Techniker über den Zustand seiner Duress gesprochen hatte. Der Gesichtsausdruck des Privateers sprach Bände.
»Zuviel. Von den Geld für die Reparatur kann ich mir gleich einen neuen Jäger kaufen, so sieht es aus.«
»Doch so schlimm?« Chyna trat etwas näher an Deacan heran.
»Allerdings. Ich werde versuchen, wieder eine Drakkar zu bekommen. Irgendwie vermisse ich meine alte Mühle sogar. Die Duress war zwar schön und gut, aber nur bedingt für meine Arbeit geeignet. Später, wenn das alles hier zu den Akten gelegt worden ist, sattle ich allerdings wieder auf eine Duress um, der Bequemlichkeit halber.«
»Aha, der Bequemlichkeit halber. So nennst du das also?«
»Wie darf ich denn das verstehen?« Chyna lächelte.
»Denkst du, dass ich keine Augen im Kopf habe? Diese kleine Maschine war dir doch in kürzester Zeit richtig ans Herz gewachsen. Ich erinnere mich sehr deutlich an deinen ersten Flug mit dem Teil. Nach der Landung hast du dir etwas schwarze Farbe gekauft und einen Schriftzug seitlich unter dem Cockpit aufgetragen. Storm. Netter Name für ein Stück Technologie.«
»Nun gut, dann werde ich jetzt rote Farbe kaufen und deinen Körper mit einen Schriftzug verzieren.«
»Erstens verlange ich schwarze Farbe dafür, zweitens darf nur das Wort Death auf meiner Brust stehen und drittens versuchst du das nur einmal. Da gehören nämlich zwei Personen dazu, einer der malt und einer, der sich bemalen lässt.«
»Darf man kurz stören?« Manley gesellte sich zu den beiden und überreichte Deacan eine Liste. »Der offizielle Schadensbericht, Ser Tron. Es sieht nicht gut aus, außer Dawsons Maschine sind die anderen zu schwer beschädigt, als dass sich eine Instandsetzung noch lohnen würde.«
»Das wirft uns ziemlich weit zurück. Wie sieht es mit Ersatz aus?«
»Mies, und das ist noch die höfliche Umschreibung. Ich spreche mit Ser Hassan, aber ich glaube nicht, dass er da etwas in die Wege leiten wird. Wir sind schon knapp bei Kasse.« Deacan schien kurz zu überlegen.
»Dann muss Drake uns helfen.«
»Drake?«
»Ja, ihr Auftraggeber Ser Arris müsste entsprechende Möglichkeiten besitzen. Leider dauert das sicher seine Zeit.« Manley sah sich suchend um.
»Wo steckt das Clan-Liebchen eigentlich?«
»Tja, wenn sie nicht bei ihrem Jäger ist, dann würde ich mal sagen, dass sie ihren Ärger mit etwas Alkohol weg spült. Passiert schließlich nicht jeden Tag, dass man seinen Jäger verschrottet. Und Drake hing regelrecht an dem Teil.« Manley mühte sich ein Lächeln ab.
»Ich weiß, es hilft Ihnen nicht wirklich weiter, aber an Ihrer Stelle würde ich es Sera Drake gleichtun. Heben Sie einfach einen über den Durst, Ser Tron. Morgen sieht alles ein wenig anders aus.«
»Sie meinen also, dass die dann einsetzenden Kopfschmerzen allen anderen Ärger überdecken, mh?«
»War nur ein Vorschlag, kein Befehl« Manley machte auf ihren Absätzen kehrt, warf aber noch einen kurzen Blick auf Deacan und Chyna. »Ich werde sehen, ob ich Ihnen nicht weiter helfen kann. Man sieht sich, bye.« Chyna lenkte die Aufmerksamkeit ihres Partners wieder auf sich.
»Was meinst du? Gehen wir ein paar Bier kippen?« Bier? Nein, das war unpassend.
»Wie wäre es mit etwas Wein? Wir tragen heute immerhin ein paar Freunde zu Grabe.« Chyna nickte zustimmend. Mit langsamen Schritten verließen die beiden die Hangarhallen.

*

Ricards saß in seinem Sessel. Die Dinge liefen ausgezeichnet für ihn. Man hatte ihn von den Ereignissen um Petra unterrichtet, er wusste bereits, dass die Kiowan die Alleinkontrolle über das gesamte System erlangt hatten. Perfekt. Es war zeitlich viel schneller abgelaufen als er erwartet hatte. Jetzt wartete er. Auf Besuch. Sein Angebot, keine Kiowan mehr anzugreifen, war auf fruchtbaren Boden gestoßen. Und niemand hatte es verhindern können. Kein Senator, keine CIS und erst recht kein Privateer.
Seine Informanten hatten ihm die Nachricht überbracht, dass Ser Tron, das einzige Übel das ihm noch hätte gefährlich werden können, noch immer im Hospital auf Hades verweilte. Zwar hatte keiner seiner Leute Ser Tron einen Besuch abstatten können, aber seitens der CIS-Zentrale wurde mehrfach bestätigt, dass die Verletzungen von Ser Tron schwerer waren als man vermutet hatte. Es gab sogar das Gerücht, dass Ser Tron nie wieder in ein Cockpit steigen könnte. Es hieß, sein Augenlicht wäre verletzt worden. Eine gewisse Sera Manley hatte diese Informationen freigegeben, und diese Agentin hatte angeblich Verbindungen bis zur höchsten Ebene. Sie unterstand Ser Hassan, dem Einsatzleiter der CIS-Truppen für das gesamte Tri-System. Eine höchst glaubwürdige Informationsquelle also. Nun, da sich Ricards so nahe am Ziel sah, war alles andere nur noch eine Frage der Zeit. Ricards hatte alles auf genauste geplant. In weniger als einem Jahr würde er die Kontrolle über alle Gildenpiloten des Tri-Systems haben. Danach würde er alle freien Piloten vom Markt drängen, denn nur seine Piloten würden nicht von den Kiowan attackiert werden. Er konnte Sicherheit regelrecht garantieren. Früher oder später würde er dann auch Zugang zu der neuen Kiowantechnologie erhalten. Er musste nur warten können. Und den ersten Schritt hatte er bereits getan. Die Kiowan hatten Gesprächsbereitschaft bekundet. Ein Abgesandter seiner neuen „Geschäftspartner“ war auf dem Weg hierher. Ricards war gespannt, was die Kiowan zu seinen Vorschlägen zu sagen hatten. Schade war nur, dass Senator Santana keine Zeit hatte, um diesem wichtigen Treffen beiwohnen zu können. Wegen dringender Termine hatte Santana absagen müssen. Die Gegensprechanlage auf seinem Tisch wurde aktiviert.
»Ser Ricards, hier möchte Sie jemand sprechen. Er sagt, er hätte einen Termin mit Ihnen.« Ricards beugte sich über seinen Schreibtisch, er gab Antwort.
»Das geht in Ordnung. Schicken Sie ihn herein.«
»Ja, Ser.« Die Anlage verstummte, Ricards lehnte sich weit in seinem Sessel zurück. Die Zukunft, oder besser gesagt seine Zukunft, begann jetzt und hier.

*

Deacans Schädel brummte. Wie viel Gläser Wein waren das gestern am Abend doch gleich noch gewesen? Aber wieso eigentlich Gläser? Flaschen würde es eher treffen. Aufstehen? Deacan warf erst mal einen Blick zur Uhr. Kurz nach zehn. Rein rechnerisch waren das sechs Stunden Schlaf gewesen, viel zu wenig nach seiner Meinung. Er beschloss, es Chyna gleichzutun und sich die Decke für eine weitere Stunde über den Kopf zu ziehen. Er drehte sich im Bett um, wandte sich Chyna zu, doch seine Hand griff ins Leere. Überrascht hob er den Kopf. Das Bett neben ihm war verwaist, Deacan ging mit der Hand unter Chynas Decke. Da es kalt darunter war, musste Chyna schon vor einer ganzen Weile aufgestanden sein. Führte seine Partnerin jetzt neue Sitten ein? Irgend etwas musste enorm wichtig sein, um die Dame so früh aus den Federn zu treiben. Der Privateer beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, obwohl er innerlich fest davon überzeugt war, das Chyna vermutlich nur von Drake oder Dawson zu einen kostenlosen Morgenbier eingeladen worden war und sie im Speisesaal ihrer Lust (oder sollte man besser sagen: ihrem Laster?) frönen würde. Leicht torkelnd trottete Deacan in Richtung Badezimmer, griff zum Türknauf, drehte diesen herum. Verschlossen. Von innen hörte man das Geräusch von fließenden Wasser.
»Chyna? Komm, bitte beeile dich ein wenig, ja?« Jemand schloss die Tür von innen auf und öffnete sie einen kleinen Spalt breit. Deacan erkannte Drakes Gesicht. »Haben Sie kein eigenes Bad?« Drake verschwand kurz aus seinem Blickfeld, dann kam sie erneut zur Tür, ein Handtuch verdeckte notdürftig ihren Körper.
»Tut mir leid, Ser Tron. Das Bad bei uns drüben wird schon seit Stunden blockiert, und zwar von Sera Manley und Ihrer Freundin Chyna. Weiß der Teufel, was die zwei da treiben. Und da mein Klopfen und Zetern von den beiden total ignoriert wurde, ich aber ein dringendes Bedürfnis verspürte und mir nicht in die teure Unterwäsche...« Drake ersparte dem müden Söldner weitere Einzelheiten, sie schlüpfte an ihm vorbei und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Ach übrigens, ich mag ihr Aftershave. Sie haben Geschmack.« Drake hauchte einen Kuss in seine Richtung, danach verschwand sie aus der Tür. Deacan dachte nach... Chyna und Manley zusammen im Bad? Auf diese Erklärung war er nun aber wirklich gespannt. Vorerst war jedoch die Dusche im Bad weitaus interessanter.
Knapp eine halbe Stunde später betrat Deacan Sera Drakes Zimmer. Sie teilte es sich mit Dawson, Manley hatte im CIS-Büro auf Serca übernachtet. Als Dawson den Privateer durch die Tür kommen sah, sprang sie wie vom Affen gebissen hoch, rannte zum Tisch, griff sich dort ein Handtuch und ihre Handtasche und raste rüber in dessen Zimmer.
»Da hat es aber jemand sehr eilig.«
»Nicht eilig, Ser Tron. Nötig. Da hat es jemand sehr nötig.« Deacan wies mit der Hand auf die Tür zum Bad.
»Soll das etwa heißen, dass die zwei noch immer da drin sind?« Drake nickte.
»Allerdings. Keine Veränderung der Situation. Auf mich reagieren die ja nicht, vielleicht haben Sie ja mehr Glück?«
»Also gut, dann werde ich den Spaß mal eben mitmachen.« Er ging auf die Tür zu, klopfte an.
»Chyna, Manley, Schluss mit der Geheimniskrämerei.« Die Tür ging prompt auf, und Deacan trat ein. Das Bad war offensichtlich einem neuen Zweck zugeteilt worden. Unzählige Computerterminals standen hier auf engstem Raum, es sah aus wie in einem kleinen Forschungslabor. Ein Gewirr aus Kabeln und Drähten zog sich an der Decke entlang, einige Wandverkleidungen standen offen. »Wann haben Sie denn das ganze Zeug hier rein gebracht?« Manley sah nur kurz von ihrer Arbeit auf.
»Hallo, Ser Tron. Nette Zimmerdekoration, finden Sie nicht auch? Aber um Ihre Frage zu beantworten, seit gut drei Stunden bin ich mit Sera McCumber schon am basteln. Ist übrigens alles Eigentum der CIS.« Chyna ging auf ihren Partner zu, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund.
»Guten Morgen, Schatz. War meine Idee, das hier.« Chynas Idee? Schön, aber was zum Henker taten die beiden hier?
»Soll ich raten, was hier abgeht? Oder helft ihr mir jetzt bitte auf die Sprünge?« C Chyna hob einige Kabel vom Boden hoch und reichte sie an Manley weiter, dann beantwortete sie seine Frage.
»Wir suchen doch nach einer Möglichkeit, Ricards etwas zu bremsen, oder? Dann sollten wir damit anfangen Ricards ein wenig, wie drücke ich es besten aus, von seinen hohen Stuhl zu holen. Wer so hoch sitzt wie Ricards, der kann sehr tief fallen, Deacan. Und das ist einfacher zu machen, als wir dachten.«
»Und wie soll das funktionieren?«
»Unsere liebe Freundin Manley hier hat die Zugangscodes für das Datennetz des Tri-Systems. Wir frisieren die Akte von Ricards ein wenig.«
»Moment, verstehe ich richtig, ihr manipuliert Ricards’ Daten?« Manley grinste.
»Allerdings, Ser Tron. Aber keine Panik, ich habe durchaus Erfahrung damit.«
»Manley, Sie erschrecken mich. Ich war immer der Meinung, wenigstens Sie würden mit sauberen Mitteln arbeiten.«
»Der Zweck heiligt die Mittel, Ser Tron. So und nicht anders sehe ich das.« Chyna setzte sich an die Tastatur.
»Dann wollen wir mal loslegen. Also, was hat denn unser Freund Ricards seit seiner Jugend so alles verbrochen?« Auf einem der vielen Display erschien die Akte von Ricards. Diese war noch sauberer als sein Hemd, es gab keinerlei Eintragungen über Straftaten seine Person betreffend. Manley pfiff leise durch die Zähne.
»Noch nicht mal einen Joint hat der Dreckskerl geraucht, nicht zu fassen. Dann lasst mal eurer Phantasie ein wenig freien Lauf, meine Freunde. Wir brauchen jetzt ein wenig strafbares und belastendes Material.« Drake machte den ersten Vorschlag.
»Wie wäre ein Gelegenheitsspanner?« Deacan schüttelte nur den Kopf.
»Also nein, Drake. Das einzige, was der anguckt, ist sein Kontostand. Wie wäre es mit einer Strafanzeige wegen Waffenhandels? Soweit ich es beurteilen kann, sieht die CIS nicht gerne zu, wenn ein Waffendealer draußen frei herumläuft.« Manley überlegte.
»Nicht schlecht. Packen wir noch Drogenbesitz drauf, das passt dann besser zum Bild. Chyna, wenn du dann so freundlich sein könntest und aus Ricards ein Schwein machen würdest?«
»Schon geschehen. Wie lange wird es wohl dauern bis die CIS dahinter kommt, dass diese Daten nur gefälscht sind?«
»Schätzungsweise drei oder vier Tage. Sie müssen den Datenstrom zurück verfolgen. Bis dahin haben wir die ganze Apparatur hier schon wieder demontiert und Ricards sitzt während dieser Zeit in Untersuchungshaft.«
»Insofern er sich nicht der Verhaftung widersetzt.« Manley beugte sich über Chynas Schulter, sie griff nun selbst zur Tastatur.
»Keine Sorge, das wird nicht passieren. Man braucht nur den Hinweis zu geben, dass Ricards bewaffnet und gefährlich ist. Und schon wird er in einer Nacht- und Nebelaktion aus seinen Kissen geholt. Hat bisher immer geklappt.«
»Hervorragend, Ihr Optimismus ist irgendwie ansteckend. Bleibt nur noch ein Problem. Wo kriegen wir neue Jäger her?« Manley sah von ihrer Arbeit auf.
»Gibt es denn hier wirklich keine? Beim Schiffshändler zum Beispiel?« Deacan holte tief Luft.
»Doch. Aber leider nur äußerst leistungsschwache Modelle. Fliegende Särge wäre die ideale Bezeichnung für den Schrott, den man hier kaufen kann. Nutzloses und zum Grossteil völlig überteuertes Zeug.«
»Ich könnte Ihnen einige Jäger der CIS anbieten. Auf Serca gibt’s eine Menge davon.« Drake mischte sich ein.
»Lassen Sie mich raten. Leichte Milizjäger, nicht wahr? Damit sehen unsere Chancen auch nicht gerade rosig aus.«
»Haben Sie vielleicht eine bessere Idee?« Ein seltsames Lächeln zierte auf einmal Drakes Gesicht.
»Möglicherweise. Ich kann zwar nichts versprechen, aber manchmal können ja Wunder geschehen.« Drake verließ das Bad, Deacan ahnte aber, was seine Kollegin da angezettelt hatte. Immerhin war sie ja vom Clan, eine enge Mitarbeiterin von Ser Arris. Und Arris hatte definitiv Zugang zur neuesten Technologie auf dem Waffensektor. Von Schiffen mal ganz zu schweigen. Chyna stand von ihrem Platz auf und ging auf Deacan zu.
»Etwas Zeit haben wir uns verschafft. Wie geht es weiter?« Der Söldner überlegte kurz.
»Petra ist von den Kiowan überrannt worden, dort zu beginnen wäre sinnlos. Wir sollten zunächst dafür sorgen, dass unsere Kiowanchen Freunde keinerlei Nachschub für ihre Aktionen im Petra-System mehr bekommen. Oder besser noch, wir müssten es arrangieren dass sie einen Teil ihrer Truppen von Petra wieder abziehen müssen. Keine leichte Aufgabe.« Chyna sah Deacan eindringlich an.
»Gehe ich recht in meiner Vermutung, wenn ich sagen würde, Ser Deacan Tron hat einen Plan?«
»Allerdings. Manley, ich brauche ein paar kleine Frachter.« Die Agentin verdrehte die Augen.
»Manley, ich brauche dies, Manley, ich benötige das... Wieso kommen die Leute immer nur zu mir, wenn sie etwas wollen?«
»Vielleicht weil Sie ständig von sich behaupten, dass es nichts gäbe, was Sie nicht besorgen können? Das ist übrigens nicht alles. Ein paar Shuttles kämen noch hinzu, außerdem möchte ich Sie fragen, ob Sie Zugang zu Geschützsatelliten bekommen könnten?« Der Blick, den Deacan von Manley für seine Anfrage erntete, sprach für sich selbst.
»Sie meinen Satelliten mit so großen und schönen Lasertürmen darauf? Was glauben Sie eigentlich, wie schwer es ist, auch nur einen solchen Satelliten zu bekommen? Die Freigabe solcher Waffenplattformen obliegt nicht allein der CIS, die CCN muss der Sache zustimmen, ansonsten rollen ein paar Köpfe bei uns. Mit diesen Dingern können Sie nämlich ganze Systeme von der Außenwelt abschneiden, verstehen Sie?«
»Was Sie nicht sagen. Was glauben Sie, was ich vor habe? Die Kiowan betreiben doch eine Raumstation, von der aus sie ihre Feldzüge ins Tri-System starten, oder? Wenn ich mich recht erinnere, dann versucht die CIS seit nunmehr sechs Jahren die Kiowan in ihrer Station festzunageln, in der Hoffnung, die Drecksbande auszuhungern. Genau das werden wir jetzt tun. Aber nicht wie sie es machen. Es nützt nichts, die Nachbarsysteme zu kontrollieren, die Kiowan rutschen immer wieder durch ihre Kontrollen hindurch. Vielmehr sollte man sie daran hindern, ihr Heimatsystem zu verlassen. Alles klar?«
»Nicht so ganz, Ser Tron.«
»Einzelheiten klären wir später, okay?« Manley gab nach.
»Einverstanden, ich werde sehen, was sich machen lässt. Was sollen es denn für Frachter sein?« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»Ein paar Ogans wären mir lieb. Drei Maschinen dürften ausreichen, dazu wie gesagt drei Shuttles, pro Frachter eins. Ach ja, bevor ich es vergesse, die Frachter sollten Sie gleich auf die Verlustrechnung setzen.«
»Verstehe ich Sie da richtig? Ich besorge Ihnen die Schiffe und Sie machen sie gleich wieder kaputt?« Deacan klopfte Manley auf die Schulter.
»Super, oder nicht?« Manley zog eine Grimasse.
»Na toll. Hassan wird es nicht gefallen, das weiß ich mit Sicherheit.« Chyna mischte sich ein.
»Manley, der Trick besteht darin, Hassan nicht alles sofort zu sagen. Bringen Sie es ihm langsam und schonend bei, ein Wort nach dem anderen, überstürzen Sie nichts. Und ab und zu sollten Sie einfach ein paar unwesentliche Details unter den Tisch fallen lassen, Sie glauben gar nicht wie gut man sich dann fühlt.«
»Klingt so als hätten Sie Erfahrung damit.«
»Jeder hat so seine ganz eigene Lebensart.« Mit breitem Grinsen verließ nun auch Chyna das Bad, sie schob Deacan vor sich her. Der wehrte sich nicht dagegen. Schließlich fand man sich im Wohnzimmer wieder, Drake lag faul auf ihrer Couch und Chyna platzierte ihren Hintern im nächstgelegenen Sessel. Dawson schien noch immer in Deacans Bad mit der Seife zu kämpfen und Manley zog sich etliche Sicherheitskopien der Daten, die sie Ricards Akten untergeschoben hatte. Dann begann sie mit der Demontage ihrer seltsamen Apparatur. Alles in allem ein recht angenehmer Tagesbeginn.
 
part 59

*
Einst waren sie unzertrennlich gewesen. Jetzt schliefen sie sogar in verschiedenen Zimmern.
Teanna und Ivy hatten sich am vergangenen Tag schon nicht sehr viel zu sagen gehabt und es hatte den Anschein, als ob sich an diesem Zustand in naher Zukunft auch nichts ändern würde. Aber der Schein kann manchmal sehr trügerisch sein. In der Tat schlief nur Ivy tief und fest und träumte vermutlich vom nächsten Gehaltsscheck. Teanna hingegen lag wach auf ihrer Bettdecke und zählte die Deckenplatten. Einschlafen konnte sie aber trotzdem nicht.
Ging sie nicht ein wenig zu weit mit ihrer Wut auf Ivy? Der Grund für ihren Krach, Teannas Vater also, war vermutlich schon tot. Tatsache war, dass sie außer Ivy keinen mehr hatte, der als Familienersatz in Frage kam. Und wenn Ivy tatsächlich verschwinden würde, dann wäre sie ganz alleine.
Teanna stand auf, griff sich ihren Morgenmantel, zog ihn an und schlich sich auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer. Ivy schlief nebenan, Teanna verzichtete aufs Anklopfen, sie trat einfach ein. Es war kalt hier, Ivy senkte eigentlich immer die Temperatur im Schlafzimmer herab. Diese dumme Angewohnheit stammte noch aus ihrer Zeit auf Terrel, dort waren die Nächte sehr kühl, teilweise lagen die Temperaturen unter zehn Grad.
Teanna konnte sich noch sehr genau an die erste Nacht mit Ivy in einem Hotelzimmer erinnern. Das ganze spielte sich vor rund zwei Jahren auf Athos ab, einem kleinen und wirtschaftlich völlig unbedeutenden Planeten, dessen Bevölkerung noch rückständiger aussah als es die Deppen auf Bex schon taten.
Teanna und Ivy hatten ihre erste erfolgreiche Mission bis spät in die Nacht hinein gefeiert und beide hatten danach nur noch ein Ziel: ihre Betten!
Nur fror sich Teanna fast den Hintern ab, als sie das Schlafzimmer betrat. Kurzerhand stellte sie die Temperatur wieder auf normale Werte ein. Das ging etwa eine halbe Stunde gut, dann stand Ivy wieder auf und stellte die Heizung wieder ab. In jener Nacht war für Teanna ans Schlafen nicht zu denken, sie wechselte sich vielmehr ständig mit Ivy ab, was das Heizung an- und ausmachen betraf.
Der Höhepunkt kam aber erst am nächsten Morgen, als der Etagenkellner mit dümmlichen Gesichtsausdruck zur Tür herein kam und fragte, ob man gut geschlafen hätte! Am liebsten hätte sie den Typen einen Kopf kürzer gemacht, nur mit Mühe gelang es ihr, ihre Wut hinter einem gequälten Lächeln zu verbergen. Im Moment hatte Teanna ebenfalls ein Lächeln auf ihren Lippen. Ivy schien das ganze Doppelbett für sich allein zu beanspruchen, sie lag von schräg nach quer unter der Bettdecke. Leise setzte sich Teanna auf den Bettrand.
Konnte sie auf jemanden ärgerlich sein, der so friedlich vor sich hin schlummerte? Sie legte sich zu Ivy ins Bett und kauerte sich dabei am Bettrand zusammen. Nach kurzer Zeit fielen ihr die Augen zu und sie schlief friedlich ein, während draußen bereits wieder die Sonne zum Vorschein kam.

*

Manley war gegangen, um die Frachter und die Geschützsatelliten zu besorgen, um die Deacan sie gebeten hatte. Drake war verschwunden, nachdem sie eine geheimnisvolle Mail bekommen hatte und Dawson war unterwegs, um sich nach passenden Ersatzteilen für ihren Jäger umzusehen.
Und da Deacan nicht den Tag in seinem Zimmer verbringen wollte, griff er sich einfach Chyna und machte mit ihr die Strassen von Serca unsicher.
Was für ein beschiss..., äh, Entschuldigung, bescheidener Planet. Der Unterhaltungswert hier lag auf unterstem Niveau, es gab kaum Bars, nur wenige Lokale und ein paar Geschäfte. Immerhin war es hier aber sauberer als auf Hermes...
Das wirkliche Debakel aber war die Tatsache, dass Deacan und seine Freunde hier fest saßen, solange noch kein Ersatz für ihre Jäger in Aussicht war. Chyna wählte schließlich eine kleine Kneipe aus, hier wollte sie ein Inspirationswasser zu sich nehmen, sprich ein Bier trinken.
Die Spelunke war fast leer, einige wenige Gäste saßen am Tresen, sodass der Grossteil der Tische frei war. Chyna und Deacan nahmen Platz, eine Kellnerin kam auf sie zu und nahm ihre Bestellung entgegen. Danach warf der Privateer einen Blick in die Runde. Nein, hier waren keine bekannten Gesichter, es hätte ihn auch schwer gewundert, wenn dem nicht so wäre.
Obwohl – es lag ein seltsam bekannter Geruch in der Luft. Zigarrenqualm, um genau zu sein. Der Raucher saß etwas abseits allein an einem der vielen Tische, mit dem Rücken zu Deacan.
»Entschuldige mich für einen Moment, Chyna.«
Deacan stand auf, ging auf den Raucher zu und verschränkte seine Arme über der Brust. Danach musterte er den Typen einige Sekunden lang. »Das Zeug wird dich eines Tages unter die Erde bringen.« Der Raucher hielt kurz inne, dann schien er Deacan an seiner Stimme zu erkennen, er stieß dicke, gelbliche Rauchschwaden aus.
»Und du scheinst noch immer die Welt verbessern zu wollen, oder etwa nicht, Deacan?«
Er stand auf, drehte sein Gesicht Deacan zu. »Willkommen auf Serca, mein Freund.« Er streckte seine Hand dem Söldner zum Gruß entgegen, eine Geste, die von Deacan sofort erwidert wurde. Chyna war sichtlich überrascht. Ihr lieber Freund schien einen ziemlich großen Bekanntenkreis zu besitzen. Von ihrer Neugierde angetrieben stand auch sie auf und ging auf Deacan zu. Dort angekommen legte sie demonstrativ ihren Arm um seine Hüfte. Auf diese Weise konnte sie gar nicht übersehen werden.
Deacans Freund bemerkte das sofort.
»Wie ich sehe, hast du jetzt einen netten kleinen Anhang bekommen. Willst du uns nicht bekannt machen?«
»Sicher. Sera Chyna McCumber, dies ist Ser Daniel Remas. Man könnte sagen, dass er zur Familie gehört.« Ser Remas schüttelte den Kopf.
»Er neigt mal wieder zur Untertreibung, meine Dame. Er und ich haben ein und denselben Vater.« Chyna überlegte kurz.
»Das macht euch zu Halbbrüdern.«
Deacan zog seine linke Augenbraue hoch.
»Ja, aber behalte das besser für dich, Chyna. Ich ziehe die Bezeichnung „Verwandter“ vor. Der liebe Daniel hier macht nämlich nicht unbedingt saubere Geschäfte, aus diesem Grund vermeide ich normalerweise jedes Zusammentreffen mit ihm.«
»Leider. Ich hab den Sinn fürs Geschäft, er hat den schnellen Finger am Abzug. Wir wären ein perfektes Team.« Daniels Zigarre wanderte von einem Mundwinkel zum anderen. »Setzt euch doch zu mir, meine Freunde. Vertreiben wir uns die Zeit mit kleinen Plaudereien.«
Daniel wies auf zwei Stühle, die seinen Tisch säumten. Deacan und Chyna folgten der Einladung. Daniel zog an seiner Zigarre. »Sag mal, was treibt dich eigentlich hier her? Hier ist doch absolut nichts los, selbst als Händler kommt man hier nur schwer an Arbeit heran.«
»Drücken wir es mal so aus, die Umstände und der Zustand meiner Maschine zwangen mich zu diesem kleinen Aufenthalt. Aber mit etwas Glück bin ich hier in kürzester Zeit wieder weg.«
»So, Umstände also. Deine Freunde von der Gilde haben nicht zufällig etwas damit zu tun?«
»Die Gilde hat keinen Bedarf mehr an meinen Fähigkeiten, ich arbeite wieder allein.« Daniel nickte zustimmend.
»Du hast schon immer gewusst, wann man seine Koffer packen und einen Abgang von der Bühne machen muss. Du hast also Ärger am Hals?«
»Wie man es nimmt.« Die Kellnerin kam an den Tisch, stellte dort die Getränke ab. Deacan griff nach seinem Glas. »Und was treibst du hier?«
Daniel streifte Asche von seiner Zigarre ab, er ließ sie auf den Fußboden rieseln.
»Ich? Diverse Geschäfte. Wie du sicherlich noch weißt, habe ich zwei Frachter unter Vertrag, sie liefern Versorgungsgüter von Bex hierher.« Deacan lächelte.
»Du meinst Vergnügungsborgs, Alkohol und andere lukrative und höchst illegale Waren.«
»Alkohol ist nicht illegal, Deacan. Was den Rest angeht, wen interessiert es? Die Miliz in diesem Sektor hat genug zu tun, da fallen meine Schiffe nicht auf. Außerdem erweise ich dem hiesigen Chef der CIS hin und wieder mal einen kleinen Gefallen. Du glaubst gar nicht, wie gut diese Zusammenarbeit funktioniert. Ich liebe diese Jungs von der Miliz richtig, manchmal passen die sogar auf meine Fracht auf. Unglaublich, nicht wahr?«
Nein, für Deacan war das nicht unglaublich. Eher logisch. Daniel hatte sich schon immer aufs Schmieren von kleinen Beamten verstanden. Und die CIS zur Mitarbeit zu bewegen, war in diesem Sektor alles andere als schwer. Ein regelmäßiger Scheck reichte da völlig aus.
Deacan mochte Daniels Art von Geschäften nicht sonderlich, auf der anderen Seite konnte er seinen Halbbruder sogar verstehen. In diesem System versuchte eben jeder, ans große Geld zu kommen. Wie war Nebensache. Daniel betrog Leute, Deacan erschoss sie. Wo war da der Unterschied? Genau betrachtet gab es keinen, beides war irgendwie unmoralisch.
Daniel nahm die Zigarre kurz aus dem Mund. »Was macht eigentlich der Rest vom Tronclan? Ich meine, wie geht es deiner Mutter?«
»Soweit ganz gut. Ist eine Weile her, seit dem ich sie das letzte Mal gesehen habe. Die Arbeit lässt mir kaum Möglichkeiten, sie zu besuchen.«
»Ja, das kenne ich. Das Geschäft ist eben manchmal wichtiger. Wo wir gerade beim Thema Geschäft sind, hättest du nicht Interesse...« Deacan schnitt ihm das Wort ab.
»Was auch immer es ist, die Antwort lautet kurz und einfach nein. Verstanden?«
»War nur ein Versuch, Deacan, nur ein Versuch. Hätte ja auch mal klappen können.«
Daniel steckte sich seine Zigarre wieder in den Mund. Eine scheußliche Angewohnheit. Rauchen war ja eigentlich verboten. Auf einigen Planeten sah man aber darüber hinweg, sollte der Raucher doch selbst entscheiden, ob er krank werden wollte oder nicht. Und dass er andere damit gefährdete, war dann ja auch egal, man musste sich ja nicht in die Nähe eines Rauchers begeben. Außerdem gab es rauchfreie Zonen, und wer hier qualmte, bekam Ärger. Nein, keinen Anpfiff oder etwas ähnliches.
Ein Scanner identifizierte das Nikotinopfer, nahm Kontakt zu dessen MACS oder ID-Karte auf und zog mal eben dreihundert Credits vom Guthaben ab. Eine ziemlich schmerzliche Erfahrung, die besser wirkte, als jedes andere Mittel. Ja, das Rauchen war außer Mode gekommen, und Tabak wurde nur noch selten angeboten oder gar verkauft. Nichtsdestotrotz blieb der Glimmstängel in all seinen Versionen, egal ob Zigarette, Zigarre oder in Form einer Tabakpfeife, eine Art von Statussymbol. Wer es nötig hatte...
Deacan bemerkte sehr schnell, dass Daniel in den letzten Monaten enormen Umsatz getätigt haben musste. Sein Gegenüber bestellte kein Bier wie er oder Chyna, nein er trank ausnahmslos teuren Sekt vom Planeten Crius. Auch in punkto Bekleidung hatte Daniel sich stark verändert, früher war er immer in Jeans und Hemd aufgetreten, jetzt saß er im teuren Designeranzug da. Daniel schien endlich die Frachtroute gefunden zu haben, nach der andere Großhändler immer noch suchten.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass du deinen Wohnsitz hierher verlegt hast?« Daniel legte ein Schmunzeln auf.
»Bist du irre? Nein, ich wohne noch immer auf Anhur. Aber ich treffe hier einen möglichen neuen Geschäftspartner, wenn alles so bleibt wie geplant, dann wird es ein sehr lohnendes Geschäft. Hast du wirklich kein Interesse an einem netten Zusatzverdienst? Garantiert kein Risiko, und die Provision für dich wäre phänomenal. Das kannst du mir gerne glauben, mein Freund.« Deacan leerte sein Glas, danach wandte er sich wieder Daniel zu.
»Wie gesagt, kein Interesse. Ich hoffe doch, das du mir nicht allzu böse darüber bist?«
»Böse? Aber nein. Ich wäre zwar beruhigter wenn ich wüsste, dass du als Geleitschutz für meine Fracht unterwegs bist, aber man kann eben nicht alles haben.«
»Du gibst wohl nie auf, was?«
»Warum sollte ich auch? Aus meiner Erfahrung kann ich mit Sicherheit behaupten, dass alles und jeder käuflich ist. Der Preis muss stimmen, das ist alles.«
»Nun gut, dann bin ich eben die Ausnahme.« Daniel holte tief Luft.
»Das warst du schon immer.« Er lehnte sich über den Tisch und sprach Chyna direkt an. »Hat er Ihnen erzählt, wie er als Schulkind einen Lehrer verprügelt hat, nur weil der schlecht über ein Kind gesprochen hatte, das aus armen Verhältnissen stammte und mit schmutzigen Klamotten zur Schule kam? Ihr Freund hier war schon immer gegen die Normen der Gesellschaft, er hasst Autorität wie die Pest.«
»Höre nicht auf ihn, Chyna. Er übertreibt maßlos.«
»Mach dich nicht kleiner als du bist, Deacan. Leute wie du sterben langsam aber sicher aus.«
Der Privateer hatte nicht vor, länger als unbedingt nötig in der Kneipe zu verbringen. Er wartete, bis Chyna ihr Bier ausgetrunken hatte, danach verabschiedete er sich von Daniel und verließ zusammen mit seiner Partnerin die Spelunke. Das Auftauchen seines Halbbruders konnte sich jedoch noch zu Deacans Vorteil entwickeln. Denn Daniels war gegen den richtigen Preis bereit, alles zu transportieren, solange seine Frachter dabei nicht in Gefahr gerieten. Und Deacan brauchte einige Leute, die bereit waren, ihren Hals zu riskieren und Geschützsatelliten in der Gegend herum zu kutschieren. Die Frachter würde Manley besorgen.
Daniel würde sicherlich kein derart lohnendes Geschäft ausschlagen. Und da er vorhin erzählt hatte, dass er noch mindestens drei Tage bleiben wollte, blieb Deacan genug Zeit, seinen Verwandten von seiner Idee zu überzeugen. Kein Problem.
Auf ihren Rückweg zum Motel tauchte Dawson wieder auf. Sie stand allein vorm Schiffshändler, hielt ihr MACS in den Händen und schien mit der Rechnung für die Instandsetzung ihrer Maschine äußerst unzufrieden zu sein. Der Ärger stand jedenfalls riesengroß in ihr Gesicht geschrieben. Vermutlich hatte man ihr gesagt, dass verschiedene Teile nicht vorrätig waren und erst in einigen Tagen zur Verfügung stehen würden. Deacan hatte man damit ebenfalls abgespeist. Chyna setzte ein freundliches Gesicht auf.
»Probleme? Können wir vielleicht helfen?« Dawson gab ihr MACS an Chyna weiter.
»Wohl kaum. Anfangs hieß es, dass mit meiner Mühle alles bestens und in Ordnung sei. Dann allerdings knallten einige Spulen bei einem Testlauf durch. Es hat mein Triebwerk erwischt, Ersatz ist erst in vier Tagen möglich. Scheiß Planet.«
»Ja, Serca liegt etwas abseits von den Hauptrouten des Tri-Systems. Aber Kopf hoch, es könnte schlimmer sein.« Dawson sah Deacan schräg an.
»„Schlimmer? Mit allem Respekt, was könnte schlimmer sein, als hier nicht weg zu können?«
»Tot zu sein, Dawson. Stecken Sie bitte Ihren Ärger weg und kommen Sie mit, ich arbeite zur Zeit an einem alternativen Plan. Und ich möchte auch Ihre Meinung dazu hören, okay?« Dawson schien überrascht zu sein.
»Sie legen wirklich Wert auf meine Meinung?«
»Allerdings. Immerhin haben Sie Ihren hübschen Hintern riskiert, um mir zu helfen. Das zeigt, dass in gewisser Weise auf Sie Verlass ist. Und solche Leute und deren Meinung waren mir schon immer etwas wert.«
»Wenn Sie das sagen, Ser Tron, dann will ich Ihnen das mal glauben. Also, wohin geht’s?«
»Zunächst einmal zurück ins Motel. Vielleicht hat Manley ja was in die Wege leiten können, oder aber Drake wartet mit einer Überraschung auf. Wer weiß?« Chyna gab Dawson das MACS zurück, gemeinsam brach man in Richtung Motel auf.
 
part 60

*
Die Sonne schien ihr direkt ins Gesicht.
Teanna kniff die Augen zusammen, das Licht tat ihr weh. Sie hob müde den Kopf. Die Sicht war verschwommen, so als würde es der Morgen nach einer Saufparty sein. Nur hatte Teanna kaum etwas alkoholisches zu sich genommen, es lag wohl eher daran, dass sie erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen war. Ihr Blick wanderte über das Bett. Von Ivy gab es keine Spur, der Platz neben ihr war leer.
Dafür lag aber ein Geruch in der Luft, der einen alle Sorgen vergessen lassen konnte. Frühstück!
Jemand hatte ihr ein großes Tablett da gelassen, heißer Kakao und frische Brötchen standen darauf genauso wie verschiedene Obstsorten. Langsam rappelte sich Teanna hoch, sie trottete zum Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Mit regelrechtem Heißhunger fiel sie dann über das Essen her.
Keine zwei Minuten später ging die Tür auf, Ivy betrat die Szenerie und konnte sich nur mühsam das Lachen verkneifen. Der Grund dafür lag in Teannas Gesicht. Sie sah einfach zauberhaft aus, etwas Konfitüre haftete an ihrer linken Wange und ein dunkler Bart, vom Kakao zurückgelassen, säumte ihren Mund. Wie süß!
»Guten Morgen, Teanna.«
Teanna wollte ja auch gerne grüßen, nur sprach es sich mit vollem Munde natürlich schlecht. Ihr Versuch schlug fehl, mit ihrer Hand konnte sie gerade noch verhindern, dass Teile ihres Frühstücks wieder auf dem Teller landeten. »Erst schlucken, dann sprechen, Teanna. Ich glaube doch, dass ich dir das irgendwann einmal beigebracht habe«
Sehr witzig. Teanna reagierte umgehend.
»Das warst nicht du, mein Dad hat mir das beigebracht. Wie spät ist es eigentlich?«
»Es ist kurz vor ein Uhr. Mittags. Du hast den gesamten Vormittag verpennt.«
»Na und? Habe ich denn etwas verpasst?« Das Teanna auch immer das letzte Wort haben musste.
»Nein, hast du nicht.«
Ivy setzte sich auf den zweiten Stuhl, gegenüber von Teanna. Dann stützte sie ihr Kinn auf ihrem Unterarm ab und sah ihrer Freundin beim Essen zu. »Geht es dir jetzt wieder etwas besser?« Teanna sah von ihrer Mahlzeit auf.
»Wenn du damit wissen willst, ob ich noch immer den Drang verspüre, dir den Hals umzudrehen, dann lautet die Antwort: Nein«
»Wie kommt denn das?«
»Ganz einfach, meine Hand tut mir noch immer weh! Hast du Knochen oder Aluminium in deinem Unterkiefer?« Ivy lächelte.
»Du siehst also, Gewalt ist keine Lösung. Was auch immer du anderen antust, es wird immer auf dich selbst zurück kommen.«
Teanna verzog das Gesicht.
»Bist du jetzt Seelendoktor oder was? Oder hast du wieder einmal ein Buch gelesen, möglicherweise eines mit biblischem Inhalt? Mir gefällt diese Zeile: Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
»Und was ist damit: schlägt man dich auf die eine Wange, dann halte auch die andere hin?«
»Sag mal, willst du noch eins auf die Fresse, oder wie darf ich das jetzt verstehen?«
Stille. Beide sahen sich nur schweigend an. Teanna legte das halbe Brötchen zurück auf Teller, sie senkte ihren Blick. »Ich kann dir nicht böse sein. Ich habe es versucht, aber es funktioniert nicht lange. Wir kennen uns nun schon so lange, wir wissen fast alles vom anderen, ich weiß, was du gerne isst, dass du die Farbe grün nicht leiden kannst und voll auf Eiskrem abfährst.« Sie sah von ihrem Teller auf und suchte jetzt Blickkontakt zu Ivy. »Ich mag dich. Und ich will die Freundschaft zu dir nicht verlieren. Und alleine frühstücken macht auch keinen Spaß. Es fällt mir schwer, aber: vergessen und vergeben?«
Teanna streckte ihre Hand Ivy entgegen. Ivy stand auf, ging auf ihre Freundin zu.
»Vergessen und vergeben.«
Teanna hielt nichts mehr auf ihrem Platz, sie sprang auf, umarmte Ivy auf heftigste, sodass ihrer Freundin fast die Luft weg blieb. Danach nahmen beide wieder Platz, Teanna wollte weiteressen, dann bemerkte sie aber das breite Grinsen von Ivy.
»Was ist?« Keine Antwort, Ivy zeichnete aber mit ihrem Zeigefinger den Kakaokreis nach, der noch immer Teannas Mund umrandete.
»Hab ich da was am Mund?« Teanna griff sich einen kleinen Teelöffel, betrachtete darin ihr verzerrtes Spiegelbild. »Warum hast du mir das nicht vorher gesagt? Da laufe ich wie ein Clown herum und du schweigst nur und grinst dir eins. Du gemeine, hinterlistige...«
Teanna stürzte ins Bad, ihre weiteren Worte verloren sich im Raum. Ivy sah ihr nach.
»Sicher, liebste Teanna. Sicher.«

*

Als Deacan zusammen mit Chyna und Dawson wieder das Motelzimmer betrat, wartete Manley bereits auf sie. Die Agentin hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht, hatte ihre Beine auf den Tisch gelegt und war sichtlich entspannt. Sie begrüßte den Söldner und die anderen im gewohnten Stil.
»Schön zu sehen, dass Sie wieder da sind.« Chyna gab Antwort.
»Schön zu wissen, dass Sie uns vermisst haben.« Manley hob den Blick.
»Na hören Sie mal, Sie sind schließlich ein Teil meiner Arbeit, da ist es nur verständlich, wenn ich mir Gedanken um Sie mache. Ohne Sie wäre meine Aufgabe nur halb so schön.«
»Ach, ist das so? Sehr interessant, Manley.«
Deacan legte seinen Mantel ab, dann begab er sich zur Agentin auf die Couch, Chyna nahm auf der anderen Seite der Dame vom CIS Platz. Manley sah Deacan fragend an.
»Und?«
»Und was«
»Irgendwas passiert, während ich weg war?« Der Privateer schüttelte den Kopf.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Oder, Chyna?«
Auch seine Freundin verneinte deutlich sichtbar Manleys Anfrage.
»Wir haben ein Bier getrunken, uns nett unterhalten. Mehr war nicht« Manley sah von rechts nach links, ihr Blick ging von Chyna zu Deacan. Beide zeigten keinerlei Regungen.
»Also ein ruhiger Morgen?«
»Aber ja, sicher. Oder, Chyna?« Und wieder tat Chyna es ihrem Freund gleich.
»Ja, absolut ruhiger Morgen, Manley«
Die Agentin fühlte sich irgendwie verarscht. Sie beließ es aber dabei, hob ihren Aktenkoffer vom Boden hoch.
»Da Sie nichts zu berichten haben, muss ich eben für Stimmung sorgen.« Der Deckel vom Koffer klappte hoch, Manley kramte darin herum, griff sich schließlich ein paar lose Seiten und schloss den Koffer wieder. Seite Nummer eins gab sie an Deacan weiter, Seite Nummer zwei überreichte sie Chyna, eine dritte Kopie behielt sie selber in der Hand.
Und noch ehe die beiden etwas lesen konnten, erzählte Manley ihren Couchkameraden alles über den Inhalt der Seiten. Wie immer. Einen anderen Ablauf der Dinge hätte sich Deacan auch nicht vorstellen können. »Also aufgepasst. Hassan bestellt schöne Grüße, insbesondere an Sie, Ser Tron. Er war nicht gerade begeistert von Ihrer Bitte nach den Frachtern, er hat aber eingewilligt. Wenn auch nur widerstrebend. Die Geschützsatelliten sind allerdings ein echtes Problem. Hassan ist derzeit dabei, mit einigen Senatoren und Vertretern der CCN darüber zu diskutieren. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, das heißt entweder wir haben Glück oder auch nicht.«
Manley machte eine kurze schöpferische Pause. Danach fuhr sie fort.
»Unsere Datenmanipulation wird in den nächsten Stunden zur vorläufigen Verhaftung von Ricards führen. Bis jetzt spielt der zuständige Richter brav mit. Bleibt zu hoffen, dass es dabei bleibt. Was den Ersatz für die Jäger betrifft, Hassan bietet Ihnen Milizjäger an. In den Hangars hier stehen einige Maschinen, Sie können diese jederzeit nehmen, wenn Sie das wollen. Soweit die aktuellen Neuigkeiten von mir.«
Manley sammelte ihre Blätter sofort wieder ein, Deacan und Chyna hatten nicht einmal den Anflug einer Chance, das bedruckte Papier selbst zu lesen.
»Vielen Dank, Manley.«
Entweder Manley überhörte den leicht sarkastischen Tonfall in Deacans Stimme mit Absicht oder sie war in Gedanken schon wieder ganz woanders. Nachdem das Papier wieder in ihrem Koffer verschwunden war, lehnte Manley sich weit auf der Couch zurück.
»Jetzt folgen die inoffiziellen News. Bei der Evakuierung von Petra hat es mehr Verluste gegeben, als wir anfangs annahmen. Der zuständige Senator hat beschlossen, dass keine Zahlen über die tatsächlichen Verluste in die Öffentlichkeit getragen werden, der Verlust von Petra wird vorerst totgeschwiegen. Um den Planeten wird innerhalb der nächsten Tage eine Sperrzone errichtet, offiziell wegen Seuchengefahr. Auf diese Weise will man verhindern, dass sich jemand dem Planeten nähert.«
Deacan strich sich mit der Hand übers Gesicht.
»Die Politik hat also bereits kapituliert. Und weiter?«
»Die CIS plant für die nächste Zeit einige Säuberungsaktionen, wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass unsere Freunde da draußen zum nächsten Planeten marschieren und erneut ein derartiges Chaos anrichten.« Deacans Verstand arbeitete auf Hochtouren.
»Die Kiowan haben bekommen, was sie wollten. Es besteht keine unmittelbare Gefahr für andere Systeme.«
»Die Regierung sieht das etwas anders, Ser Tron. Auf Crius und Hades laufen bereits erste Vorbereitungen für eine Mobilmachung der Reserveeinheiten der Miliz.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, Sera Drake betrat den Raum, sie deute mit ihrer Hand auf Deacan.
»Ein Hallo in die Runde. Ser Tron, auch wenn es im Moment vielleicht unpassend ist, aber könnte ich Sie mal kurz sprechen? Unter vier Augen?« Der Söldner stand auf, wortlos folgte er Drake ins Nebenzimmer. Dawson besetzte den verlassenden Platz auf der Couch.
»Sag mal, liebe Chyna, läuft da was zwischen den beiden? Mir ist aufgefallen, das die zwei in letzter Zeit häufig die Köpfe zusammenstecken?«
Chyna lächelte kühl.
»Solange Deacan und Venice nur die Köpfe zusammenstecken, habe ich nichts dagegen. Keine Angst, ich weiß genau, wann ich auf Deacan aufpassen muss.« Dawson schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben, sie beendete das Thema. Fast zeitgleich erschien Deacan wieder auf der Bildfläche, gefolgt von Drake.
»Meine lieben Freunde, wir machen einen kleinen Ausflug zu den Frachtdocks.« Manley war ein wenig verwirrt.
»Zu den Frachtdocks? Was in Gottes Namen haben wir denn dort zu suchen?« Deacan zögerte nicht mit seiner Antwort.
»Wir holen dort etwas ab, was ein lieber und großzügiger Freund für uns da gelassen hat. Der kleine Abstecher lohnt sich auf jeden Fall, wir sollten aufbrechen.«
Schon wieder laufen? Chyna Gesicht sprach Bände.
»Muss ich wirklich mitkommen, Deacan? Mir tun die Füße weh, ich würde euch nur die Ohren voll jammern. Kann ich bitte hier bleiben?«
Auf Deacans Stirn erschienen einige Sorgenfalten. Sollte er Chyna allein lassen, nach allem, was passiert war? Ihm fiel jedoch Ser Parker wieder ein. Er war der einzige Privateer, der neben ihm, Drake und Dawson lebendig von Petra zurück gekommen war.
Ser Parker hatte sich im selben Motel einquartiert, sein Zimmer lag mit auf dem Flur. Auch er hing hier fest, sein Jäger war ebenfalls nur noch Schrott. Und Parker hatte offen sein Interesse bekundet auch weiterhin mit Deacan zusammen zu arbeiten.
»In Ordnung, Chyna. Du kannst hier bleiben, aber ich möchte, das du Ser Parker hierher holst, okay? Du bleibst auf keinen Fall allein in diesem Zimmer, war das deutlich?« Diese Worte waren eindeutig, und der Tonfall unterstrich das noch. Chyna nickte artig, obgleich ein kleines Funkeln in ihren Augen etwas anderes dazu zu sagen schien.
»Schon gut. Ich weiß, das du um mich besorgt bist. Ich gehe auch gleich rüber und hole Parker hierher.«
»Nicht gleich sondern sofort.« Deacan warf sich seinen Mantel über, dann verließ er mit Drake, Dawson und Manley das Zimmer.
 
part 61

*

Die Frachtdocks lagen nicht etwa außerhalb der City, im Gegenteil. Deacan und Co. brauchten keine zwanzig Minuten zu Fuß bis dorthin.
Wenigstens hier war etwas los. Serca wurde oft und vor allem gerne als Zwischenstation für illegale Waren benutzt. In den unzähligen Containern befanden sich nur höchst selten Dinge des Alltags. Serca lebte regelrecht vom Schmuggel.
Kein Wunder also, dass sich sogar Deacans Halbbruder Daniel hierher wagte. Der war aber im Augenblick nicht von Interesse, viel wichtiger war Drakes Fracht. Die junge Dame hatte die entsprechenden Papiere auf ihrem MACS abgespeichert. Jetzt galt es nur noch, die dazugehörigen Container zu finden.
Leichter gesagt als getan, Ordnung schien nicht gerade eine der Eigenschaften der Dockmannschaften zu sein. Nach dreißig Minuten hatte Drake die Nase gestrichen voll, sie zog kurzerhand einen der Dockarbeiter zu Rate. Der verwies jedoch auf den Vorarbeiter, denn der hatte nämlich die Listen aller Container bei sich und würde ihnen sicher weiterhelfen können. Die Suche nach dieser Person nahm nochmals einige Minuten in Anspruch, dann erhielt man die Containernummer und den genauen Stellplatz.
Damit war es dann ein reines Kinderspiel, Drakes Fracht zu lokalisieren.
In der Tat war man mehrfach an den Containern vorbei gelaufen. Das war aber auch kein allzu großes Wunder, die Fracht bestand nicht nur aus einen oder zwei Containern, wie Deacan es vermutet hatte.
Nein, ganze vierundvierzig Container warteten darauf, von Drake in Empfang genommen zu werden. Diese Menge hätte ausgereicht, um ein komplettes Wohnhaus samt Einrichtung zu transportieren.
Manley sah sich neugierig die außen angebrachten Schilder und die darauf abgedruckten Daten an. Hier stand der Absender sowie Angaben zum Inhalt der Container. Die Agentin schien nach eingehenden Studium der Daten ein wenig verwirrt zu sein.
»Drake, wer ist Blizztech? Ich habe noch nie von einer Firma gehört, die diesen Namen trägt. Und von einer Werft namens Tri-Systems New Land ist mir ebenfalls nichts bekannt.«
Drake legte ein Grinsen auf.
»Das werden Sie auch nie, Manley. Ist ein reines Phantasieprodukt, diese Namen sind meinem Auftraggeber zwischendurch beim Essen oder so eingefallen... Ser Tron, helfen Sie mir mal?«
Drake wollte einen der Container öffnen, Deacan kam hinzu, zusammen schafften sie es, die schweren Türen zu entriegeln. Langsam und geräuschvoll schwangen die Türen auf, zum Vorschein kam etwas, das mit einer großen Plane verhüllt war. Drake griff sich die Plane und zog sie herunter.
Manley ging instinktiv einen Schritt zurück. Und auch Dawson schien alles andere als begeistert zu sein.
Da stand ein Cockpit im Container. Kein gewöhnliches. Nicht irgendein Cockpit. Nein, das hier war etwas ganz anderes. Das hier war das Cockpit einer Blade! Unverkennbar. Wer es einmal gesehen hatte, der erkannte es immer wieder.
Wie alle anderen auch hatte Deacan nur Gerüchte über diesen Jäger gehört.
Die Blade. Auch bekannt unter dem Namen „das Clanschiff“. Oder fliegender Tod. Der gefährlichste aller Jäger im gesamten Tri-System. Es gab nichts vergleichbares, sogar die Miliz kapitulierte regelmäßig davor.
Drake wies mit der Hand auf die anderen Container. »Dies ist ein Geschenk von Ser Arris. Der überlässt Ihnen hiermit freundlicherweise insgesamt acht schwere Jäger der Blade-Klasse, komplett bestückt und voll ausgerüstet. Sie müssen nur noch montiert werden. Wenn Sie Fragen haben, ich kann sie mühelos beantworten. Also?«
Für einige Augenblicke herrschte gespenstige Ruhe. Vor allem Manley war völlig sprachlos. Wie sollte sie das Ser Hassan erklären? Reichte es nicht, dass Ser Tron für Kopfschmerzen bei ihrem Chef sorgte? Deacan war dann der erste, der seine Sprachlosigkeit überwand.
»Wie zum Teufel haben Sie die Dinger so schnell herbringen können? Ich meine, Sie hatten doch nur wenige Stunden Zeit dafür?« Eine interessante und überaus berechtigte Frage. Drake grinste kühl.
»Das, Ser Tron, ist ein kleines Geheimnis, dass ich Ihnen irgendwann vielleicht einmal erkläre.«
Dawson mischte sich ein.
»Venice, ich bin vermutlich die letzte, die es ablehnen würde in einer Blade herum zu fliegen. Trotzdem sehe ich da einen kleinen Schönheitsfehler. Wenn wir mit diesen Dingern unterwegs sind, dann wird nicht nur jeder blöde Kiowan, sondern auch jeder Milizpilot seine Waffen auf uns richten! Der Clan ist alles andere als beliebt da draußen.«
Deacan griff das Problem auf.
»Da muss ich ihr recht geben. Also, wie wollen Sie das verhindern?« Drake verzog keine Miene.
»Diese Maschinen hier besitzen ein Freund-Feind-Erkennungssystem. Auf den Scannern und Radarschirmen der CIS oder aller Privateers werden wir als neutrale Schiffe dargestellt werden.«
Der Söldner wirkte skeptisch.
»Eine Blade, die neutral ist? Das ist ein absoluter Widerspruch, liebe Drake. Das kauft uns keiner ab.«
»Kein Mensch wird eine Blade auf seinen Schirmen haben, vielmehr eine Kalrechi. Beide Schiffe sind einander ziemlich ähnlich, in der Tat stellt die Kalrechi den Versuch dar, die Blade zu kopieren. Ist zwar total misslungen, spielt hierbei aber keine Rolle. Der Bordcomputer dieser Blade hier sendet nämlich zusätzlich eine falsche ID aus. Also, wer nicht bis auf zweihundert Meter an uns heran kommt, der wird den Unterschied nicht merken.«
Klasse. Ein Restrisiko blieb also doch noch bestehen. Manley versuchte erst gar nicht, ihre Ablehnung zu verbergen.
»Sera Drake, Sie wissen schon, dass ich Sie jetzt ohne weiteres verhaften könnte?«
»Ich weiß sehr wohl das der Besitz solcher Jäger strafbar ist, Sera Manley. Wir haben aber leider keine andere Wahl. Mit den Jägern, die Sie uns angeboten haben, kommen wir nicht sonderlich weit. Aber das hier, das ist das beste Material das es zur Zeit gibt. Und Sie sind darauf angewiesen. Das sollten Sie besser nicht vergessen.«
Manley holte tief Luft. Drake hatte ja recht, darüber gab es keinen Zweifel. Und trotzdem würde sie enorme Probleme kriegen. Wie sollte sie den CIS-Truppen klar machen, dass jetzt Maschinen unterwegs waren, die zwar nach Clan aussahen, aber nicht vom Clan geflogen wurden?
Dumme Sache. Je mehr die Agentin darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihr die ganze Sache. Das hier konnte gefährlich werden, und die Gefahr ging dabei auch von den eigenen Leuten aus.
Drakes weitere Ausführungen beendeten jedoch Manleys Gedankengänge. »Zu Ihrer Information, über die Blade gibt es zwar jede Menge Gerüchte, aber Ihnen dürften kaum relevante Fakten bekannt sein. Sie ist eines der schnellsten Schiffe im gesamten Tri-System, ihre Schilde sind erstklassig. Die Bewaffnung phänomenal. Dazu kommen allerlei Spielereien, aber die zeige ich Ihnen später. Ser Arris hat einige Techniker geschickt, die unsere Jäger zusammenbauen werden. Sie brauchen also nichts zu tun, das erledigt sich alles von ganz allein. Wir können uns von mir aus in der Zwischenzeit ja ein wenig entspannen und vielleicht einen kühlen Drink mit Schirmchen genießen.«
Drake stellte sich vor das Cockpit, sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und ihr Blick wurde ernst.
»Willkommen im Clan.«

*

Endlich mal Ruhe haben, die Füße auf den Tisch legen und die Seele baumeln lassen. Chyna war froh, den Tag hier in ihrem Zimmer mit einem kühlen Bier und ohne störende Hektik verbringen zu können. Ser Parker saß etwas abseits auf einem Stuhl, er hatte den Newskanal an und sah fern. Wie spannend. Parker hatte für Chyna den Unterhaltungswert einer Küchenlampe, seitdem er hier war, hatte er kaum ein Wort gesprochen.
Eine kurze Floskel als Begrüßung. Danach war Sense. Chyna nippte an ihrem Bier. Was Deacan wohl jetzt in diesen Augenblick anstellte?
Innerlich hätte sie ihn gerne begleitet, aber Kollege Faulheit hatte sich mit seinem Kameraden Trägheit bei Chyna durchgesetzt. Bedauerlich, aber leider nicht mehr zu ändern. Tja, und jetzt saß sie hier mit einem 1,80 Meter großen Animatronik, der in die Flimmerkiste starrte. Irgendwann einmal würden die Batterien aus seinem Hintern rutschen, daran gab es für sie keinen Zweifel.
Ob er überhaupt bemerken würde, wenn sie ein paar Grimassen schneiden würde? Oder wenn sie auf ein Stück Papier die Worte „Parker ist ein Arsch“ schreiben und dieses dann in die Luft halten würde? Bekam der Kerl auf seinem Stuhl überhaupt etwas mit?
Jemand hatte wohl etwas dagegen, dass sie weiter mit diesen Gedanken spielte. Denn es klopfte an der Tür. Parker erwachte aus seiner Starre, er ging auf die Tür zu.
»Ja, bitte?«
Statt einer Antwort knallte es laut. Etwas schoss durch die Tür, erwischte Parker und schleuderte ihn gegen die Wand. Ein riesiges Loch klaffte in seiner Brust, Chyna hätte ihre Faust hinein stecken können.
Parker sackte zusammen, die Wand hinter ihm färbte sich rot von seinem Blut. Für ihn kam jede Hilfe zu spät.
Chyna sprang mit einem Satz hinter die Couch, auf der sie noch Sekunden zuvor ihre Langeweile vor sich her geschoben hatte. Ihre Deckung nahm ihr jede Sicht auf das weitere Geschehen, also musste sie sich auf ihr Gehör verlassen.
Jemand griff durch das Loch in der Tür und öffnete diese von innen. Schwere Schritte hallten durch den Raum, Chyna glaubte aber hören zu können, dass es sich nur um eine Person handelte. Verzweifelt sah sie sich nach einer Waffe um, nach einer Möglichkeit, sich wenigstens wehren zu können. Parker trug einen Blaster im Hosenbund. Aber er und die Waffe waren außer Reichweite für Chyna. Die Schritte des Angreifers kamen langsam näher. Vorsichtig veränderte Chyna ihre Position.
Da sie nichts gefunden hatte, das als Waffe in Frage kam, musste sie eben improvisieren. Ein zweiter Schuss zerriss die Stille, er durchschlug die Tür zum Bad. Krachend schlug die Tür auf und fiel aus den Angeln.
Chynas Blut raste durch ihren Körper. Sie beschloss, ihre Deckung aufzugeben. Nein, sie wollte nicht einfach quer durch den Raum laufen und dabei als Zielscheibe benutzt werden, vielmehr kam ihr eine Idee.
Sie hatte aber nur einen Versuch. Die Couch bestand aus leichten Materialien, man konnte sie problemlos bewegen. Hoffentlich konnte Chyna sie auch anheben! Ihre Finger rutschten unter die Bodenplatte der Couch, sie hockte sich hin. Und wieder lauschte sie, hörte die schweren Schritte ihres Besuchers.
Der blieb stehen, Chyna hatte keine Ahnung, wo genau er sich in diesen Moment befand. Hoffentlich in unmittelbarer Nähe.
Jetzt!
Sie sprang auf, mit aller Kraft riss sie die Couch mit nach oben. Den Schützen konnte sie dabei nicht sehen, sie stieß die Couch von sich weg, in den Raum hinein. Und hatte einfach Glück. Denn ihr „Geschoss“ erwischte ihren Gast im Genick, sodass dieser erst einmal zu Boden ging.
Zeit, um freundlich „Hallo“ zu sagen, blieb Chyna nicht. Sie rannte an dem Unbekannten vorbei, nur raus aus dem Zimmer. Auch draußen im Flur stoppte sie ihren Lauf nicht, denn das Motel war nicht mehr sicher genug. Sie hatte gerade die Treppe erreicht, als der Schütze wieder auf die Beine kam, er folgte seinem Opfer in den Flur. Und holte es schnell wieder ein. Ein weiterer Schuss ging haarscharf an ihrem Kopf vorbei, und durchschlug die Wand.
Chyna sprang die Treppen regelrecht hinunter. Sie drückte sich dabei an die Wand, um ihrem Verfolger möglichst kein Ziel zu bieten. Der erwies sich allerdings als extrem hartnäckig. Chyna merkte, wie langsam ein unangenehmes Seitenstechen bei ihr einsetzte. Laufen war noch nie eine ihrer Stärken gewesen. Sie erreichte das Erdgeschoss und rannte in die Empfangshalle.
Hier standen einige Menschen, von denen sie sich einfach gesagt Hilfe erhoffte. Unter anderem stand hier auch ein Mann hinter dem Tisch der Rezeption. Völlig außer Atem erreichte sie seinen Standort.
»Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
Der Mann hinter dem Tisch sah Chyna eindringlich an. Die brachte nur einzelne Wortfetzen heraus, rang nach Luft.
»Helfen Sie...mir, bitte, ich werde verfolgt...einer ist schon tot.« Der Mann reagierte mit Unglauben.
»Verfolgt? Von wem denn? Und was sagten Sie da gleich von einem Toten?« Chyna drehte sich um, sie zeigte auf das Treppenhaus.
»Na dort ist er doch, können Sie ihn denn nicht...«
Aber das Treppenhaus war leer. Kein Mensch war dort zu sehen, ihr Verfolger schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
»Bitte beruhigen Sie sich erst einmal, okay? Und dann erzählen Sie ganz langsam, was eigentlich passiert ist, einverstanden? Bitte kommen Sie, setzen Sie sich doch erst mal hin.« Chyna folgte dem Mann, sie drehte sich aber noch einmal um und warf einen letzten Blick ins immer noch leere Treppenhaus.
 
Back
Top